piwik no script img

Kommentar: Deutsche Männer fürchten um „ihre“ FrauenDie rassistische Empörung

Katharina Schipkowski
Kommentar von Katharina Schipkowski

Die plötzliche Aufregung über sexualisierte Gewalt gegen Frauen bedient einen rassistischen Diskurs. Um Frauen geht es dabei nicht wirklich, um Sexismus schon gar nicht

Grapschen auf dem Kiez wollen sie neuerdings verhindern: PolizistInnen auf St. Pauli Foto: Axel Heimken/dpa

t az Plötzlich poppen überall Nachrichten auf, die zuvor niemanden interessiert haben: Am Jungfernstieg hat am Freitag ein Mann einer Frau an den Busen gegrapscht, an der S-Bahn Station Reeperbahn fasste ein anderer am Sonntag einer Frau an den Po. Die Öffentlichkeit ist empört. Und zwar aus genau einem Grund: Alle mutmaßlichen Täter der berichteten Übergriffe haben Migrationshintergrund – vielleicht.

Mit anderen Worten: Hier fassen Fremde unsere deutschen Frauen an. Das dürfen die nicht – das dürfen nur wir, schrei(b)en deutsche Männer. Das war schließlich schon im ersten Weltkrieg so: Die Erzählung der „Schwarzen Schmach vom Rhein“ steht in den Geschichtsbüchern für die Ur-Angst deutscher Männer, dass sich exotische Südländer der als eigen und wehrlos imaginierten Frauen bemächtigen. Diese alte, deutsche Angst kommt nun offenbar wieder hoch.

Die Formulierung „Ein Migrationshintergrund ist nicht auszuschließen“ im Abendblatt und in der Morgenpost ist der Gipfel der rassistischen Empörung. Sie ist auch entlarvend, denn sie sagt: Wenn es sich bewahrheiten sollte, ist es unerhört. Wenn nicht, dann nicht.

Auch für das Opfer eines solchen Übergriffs ist das verletzend. Nicht, was ihm angetan wird, zählt, sondern ob der Täter deutsch ist.

Nicht, was dem Opfer angetan wird, zählt, sondern ob der Täter deutsch ist

Im Diskurs wird außerdem deutlich, wie wenig Ahnung Männer, die es nicht interessiert, von der Realität haben, der Frauen im alltäglichen Patriarchat ausgesetzt sind: Wenn ich höre, dass jemand einer Frau an die Brust grapscht, ekelt es mich und es macht mich wütend, aber es schockiert mich nicht im Entferntesten.

Schockierend ist eher, dass PolitikerInnen sich nicht scheuen, die Opfer sexualisierter Gewalt zu instrumentalisieren. Die Beileidsbekundung von Andreas Dressel (SPD) gegenüber dem Mädchen, das gegen seinen Willen geküsst wurde – ausgesprochen im gleichen Atemzug mit der Forderung nach schnellerer Abschiebung – zeigt nur, dass es nicht um sexualisierte Gewalt geht, geschweige denn um die Betroffenen. Sondern nur um Abgrenzung gegen das „Fremde“ – und letztlich um knallharte Asylpolitik.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Katharina Schipkowski
Redakteurin | taz Nord
Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Die mit Abstand meisten Übergriffe passieren nach wie vor in den Familien selbst. Auch hier kann sich der "deutsche Mann" überhaupt nicht weit aus dem Fenster lehnen und auf andere zeigen!

  • Natürlich gab es auch schon vor Silvester sexuelle Übergriffe auf Frauen in Köln, Hamburg, Bielfeld und anderswo. Aber doch nicht von Gruppen von 10, 20, 50 Mann! Und nicht gleichzeitig in mehreren Städten an hunderten Frauen. Das ist doch eine völlig neue Qualität. Wer das gleichsetzt mit dem "alltäglichen Patriachat", der relativiert auf unerträgliche Weise und verhöhnt die Opfer Silvesternacht. Und wozu? Um kognitive Dissonanzen zu vermeiden?

    • @AlexA:

      Ich denke sie haben Recht, liebe Alexa!

      Das hier hat neue Dimensionen angenommen. Allerdings glaube ich nicht dass es dabei um die Vermeidung kognitiver Dissonanzen geht. Vielmehr hege ich mittlerweile den Verdacht, dass es eher um das absichtliche Sähen von ebensolchen kognitiven Dissonanzen geht, also um bewußte Manipulation.

      Was nämlich in dieser sehr emotional geführten Diskussion immer wieder aus der verletzten Gefühlswelt aller möglicher DiskutantenInnen und KommentatorInnen hochgekocht wird sind nicht nur Rassismus und Xenophobie, nicht nur Frauenverachtung und Machismo, sondern eben auch feministischer Sexismus und verallgemeinerter Männerhass.

      Wir leben in einer Gesellschaft der Partikularinteressen - und jeder versucht schnellstmöglich seine "Truppen" zu mobilisieren um sein spezielles Interesse durchzusetzen oder zumindest vor vermeintlichen oder tatsächlichen Gefahren zu schützen.

      Eine differenzierte Betrachtung des Problemfeldes findet nur selten statt und wird in der Regel sehr schnell ideologisch sabotiert mittels gegenseitiger Bezichtigungen, Verleumdungen und Beleidigungen.

      Was sollte da noch vernünftiges daraus hervor gehen? Oder: Wenns an die Eier (resp. Eierstöcke) geht, dann hört sich der Spaß schnell auf.

      "A Liter Bluat is schnell verpritschelt", wie man in Bayern so schön sagt....

  • Es sollte natürlich nicht darum gehen, ob es einen "Migrationshintergrund" gibt oder nicht , sondern dass es marodierende Männerhorden sind.

    Aber erschreckend, dass hier auf einmal das Relativieren von Opfer-Wahrnehmungen zum guten Ton gehört. Um ein "an die Brust grabschen" geht es ja keineswegs bei den aktuellen Fällen und die Gleichsetzung damit ist nicht weniger als eine Entsolidarisierung.