Kommentar De Maizière gegen links: Es wird langsam absurd

Indymediaverbot, verschärftes Demonstrationsrecht: Der Bundesinnenminister setzt im Wahlkampf plötzlich auf den Kampf gegen Linksextremismus.

Porträt Thomas de Maizère

Der Bundesinnenminister hat sein Thema gesucht – und gefunden Foto: dpa

Da hat also jemand sein Thema gefunden. Es brauche eine harte Kante gegen Linksextremismus, verkündeten Bundesinnenminister Thomas de Maizière und seine Unions-Kollegen aus den Ländern am Freitag. Autonome Zentren wie die Rote Flora dürften nicht mehr toleriert, das Demonstrationsrecht müsse nochmals verschärft werden.

Die Forderungen sind späte Ausläufer der G20-Randale in Hamburg. Sie sind aber vor allem: Wahlkampf. Und das reichlich durchschaubar.

Den Auftakt hatte de Maizière schon vor einer Woche gemacht. Er ließ das linke Onlineportal Indymedia verbieten, angeblich von langer Hand vorbereitet – aber doch gut getimed vor der Bundestagswahl verkündet. Und statt die vermeintlich aufgetriebenen Betreiber aufzufordern, problematische Beiträge zu löschen, wurde gleich die ganze Plattform dichtgemacht.

Es ist eben gerade nicht die Zeit für Zwischentöne. Und für die Union scheint das Thema Linksextremismus wie gemacht. Die Hamburger Randale hatte bundesweit für Empörung gesorgt. Für ein hartes Durchgreifen gegen die autonome Szene können die Christdemokraten auf breiten Zuspruch hoffen, auch von schwankenden AfD-Anhängern. Gleichzeitig versucht die Union SPD, Grüne und Linke in die Enge zu treiben, denen sie ein ambivalentes Verhältnis zu linker Militanz vorwirft. Indes: Es ist nicht ausgemacht, dass die Sache nicht noch nach hinten losgeht.

Sinkende Zahl von Straftaten

Bis Hamburg jedenfalls war das Thema auch für de Maizière kaum eines. Auch er äußerte sich zum Linksextremismus, wenn überhaupt, nur am Rande. Das Problem schien beherrschbar. Konspirative Radikale wie die „militante gruppe“, die mit Brandanschlägen für Unruhe sorgten, wurden schon vor Jahren hochgenommen. Die Zahl linker Straftaten sank im vergangenen Jahr um zwei Prozent auf 9.389 Delikte, die der linken Gewalttaten gar um 20 Prozent.

Anders auf rechtsextremer Seite, wo die Straftaten leicht auf 23.555 Delikte anstiegen – auf den Höchststand seit 15 Jahren. Und Präventionsprojekte gegen Linksextremismus führten ein Schattendasein. 1,3 Millionen Euro gibt die Bundesregierung dafür in diesem Jahr aus – bei 103,2 Millionen Euro für alle anderen Präventionsmaßnahmen.

Nun aber gab es die G20-Krawalle. Und es ist Wahlkampf.

Da bekundet auch CDU-Generalsekretär Peter Tauber, die „Rote Flora“ und ein Hausprojekt in der Rigaer Straße in Berlin hätten ihren Existenzberechtigung verwirkt. Da bezeichnet Kanzleramtschef Peter Altmaier die Hamburg-Krawalle wortgewaltig als „Terror, sonst nichts“. Und da paktiert die CDU in Sachsen-Anhalt gar mit der AfD und stimmt für deren Antrag auf eine Enquetekommission zum Linksextremismus. Eine, die auch den Kinder- und Jugendring auf linksextreme Tendenzen untersuchen soll. Es wird also langsam absurd.

Kreativer Verfolgungsdruck

Und die Kampfansage gegen linksaußen könnte auch an anderer Stelle noch auf die Union zurückfallen. Beim Thema Indymedia musste de Maizière bereits etwas zurückrudern. Ob die von den Behörden präsentierten Waffen bei den Razzien tatsächlich den Betreibern der Plattform zuzuordnen sind, ist nun doch nicht so klar. Und auch, ob das Verbot Bestand hat, ist nicht ausgemacht.

40 Jahre Deutscher Herbst: Am 5. September 1977 entführten RAF-Terroristen Hanns Martin Schleyer, um ihre Führungsspitze freizupressen, die in Stammheim inhaftiert war. 91 Geiseln kamen hinzu, als die Lufthansa-Maschine „Landshut“ entführt wurde. Die Bundesregierung zeigte sich unbeugsam, Schleyer wurde ermordet, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe nahmen sich das Leben. Zeitzeugen und Nachgeborene rechnen mit der RAF ab – auf 14 Seiten. Am Samstag am Kiosk, im eKiosk oder im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Eine offene Plattform, auf der erstmal jeder, der will, Beiträge schreiben kann, als Verein zu verbieten, ist schon kreativ. Hier „Vereinsvorsitzende“ gerichtsfest nachzuweisen, wird anspruchsvoll. Die Durchsuchten jedenfalls behaupten, diese Funktion nicht inne gehabt zu haben – und klagen inzwischen gegen das Verbot. Sollten sie Recht bekommen und das Verbot aufgehoben werden: Es wäre eine saftige Blamage für de Maizière.

Auch die Räumung linker Zentren ist weit leichter gefordert, als umgesetzt. In Berlin hatte das bereits der einstige CDU-Innensenator Frank Henkel versucht, in besagter Rigaer Straße. Als die Polizei schließlich zu einer Teilräumung ausrückte, wurde diese anschließend vom Landgericht als rechtswidrig kassiert: Die Autonomen bekamen ihre Räume wieder. Und Henkel war bloßgestellt.

Verhältnismäßigkeit über Bord

Auch die am Freitag angekündigte Verschärfung des Demonstrationsrechts wird auf Widerstand stoßen. Erst im Juni hatte die Große Koalition die Strafen für Angriffe auf Polizisten verschärft. Mindestens drei Monate Freiheitsstrafe gibt es nun, und sei es nur ein Schubser. Bekanntschaft mit dem neuen Gesetz machte diese Woche ein 21-jähriger G20-Gegner, der bei den Protesten zwei Flaschen auf Polizisten warf: Er wurde zu zwei Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt. Strafen die sonst etwa für schweren Raub verteilt werden. Rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeit vermittelt das nicht mehr.

Der neue Vorschlag geht nun noch weiter: Verurteilt werden könnte nun schon, wer sich nur in der Nähe von Flaschenwürfen befinden würde – ohne selbst zur Tat zu schreiten. Ganze Demonstrationszüge könnten so in Mithaftung für das Fehlverhalten Einzelner genommen werden. Es wäre eine massive Beutelung des Versammlungsrechts.

Thomas de Maizière muss sich mit solchen „Details“ vorerst nicht aufhalten. Er hat sein Thema gesetzt. Und schon am Montag will er weitermachen, in Hohenschönhausen in Berlin.

In der dortigen Stasi-Gedenkstätte will er ein Anti-Linksextremismus-Seminar für Schüler besuchen. Auch dieser Besuch ist wohlterminiert. Dass die dortigen Seminare in der letzten Evaluation des Familienministeriums denkbar schlecht abschnitten, dass ihnen eine „weitreichend einseitige Materialauswahl“ und einen „unausgesprochenen Totalitarismusverdacht“ gegen alle möglichen linke Strömungen vorgeworfen wurden – auch an diesen Details wird sich de Maizière wohl vorerst nicht stören. Es ist ja Wahlkampf.

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Seit 2010 bei der taz, erst im Berlin Ressort, ab 2014 Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Studium der Publizistik und Soziologie. Mitautor der Bücher "Staatsgewalt" (2023), "Fehlender Mindestabstand" (2021), "Extreme Sicherheit" (2019) und „Bürgerland Brandenburg" (2009).

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