Kommentar Clintons Kandidatur: Die Macht der letzten Chance

Hillary Clinton will die „Glasdecke der Macht“ durchbrechen. Die ehemalige Außenministerin und First Lady könnte die mächtigste Frau der Welt werden.

Mit brillantem Verstand und klarer politischer Ausrichtung: Hillary Clinton, Politprofi. Bild: reuters

Endlich ist es raus. Hillary Clinton versucht es noch einmal. Sie hat ihre Kandidatur als Präsidentschaftskandidatin verkündet (hier das Video). Monatelang hatte sich die 67-Jährige öffentlich geziert wie eine Debütantin, um sich hinter den Kulissen längst effizient für einen langen Weg zu rüsten.

Nun ist Hillary Rodham Clinton schon lange keine Debütantin mehr. Sie ist Politprofi und weiß, worauf sie sich einlässt. Und nach allen Meinungsumfragen, die die ehemalige Außenministerin und First Lady in den Sympathiewerten stets weit vor anderen demokratischen Kandidaten sehen, wäre es für den Machtmenschen Clinton geradezu unglaubwürdig gewesen, ihre letzte Chance ums höchste Amt in den Vereinigten Staaten auszuschlagen. Denn ihre Chancen stehen gut.

Clinton könnte erstmals die von ihr selbst oft zitierte „Glasdecke der Macht“ durchbrechen und die mächtigste Frau der Welt werden. Sie hat die Mühen der Ebenen als Senatorin in New York und als Außenministern durchlaufen und nicht nur an der Seite ihres Mannes Bill repräsentiert. Die Clintons sind vernetzt, es wird genug Großspender geben, die den Hunderte Millionen Dollar teuren Vorwahlkampf und eigentlichen Präsidentschaftswahlkampf unterstützen.

Und Clinton ist Politprofi, mit brillantem Verstand, klarer politischer Ausrichtung, und sie hat ihre ihr oft vorgehaltene Härte etwas abgelegt. Mit dem Image der Großmutter spielt Clinton mittlerweile genauso geschickt wie sie als Feministin mit ironischem Unterton über ihre eigene Haarfrisur spricht, die in ihrer Zeit als Außenministerin Anlass konstanter Beurteilung und Interpretation war.

Wenn es eine Frau schafft, dann sie

Sie ist vermittelbar und das ist wichtig, denn Stimmen von Frauen, Linken und Minderheiten – die traditionell eher demokratisch wählen – allein werden nicht reichen, um die Republikaner zu schlagen. Sie braucht auch die Mitte der Gesellschaft, die Wechselwähler sowie die Jüngeren. Doch wem, wenn nicht Clinton sollte das gelingen? Wenn es eine Frau schafft, dann sie, so heißt es. Doch ihr größtes Kapital ist auch ihr größtes Hindernis: ihr Name. Die Clintons sind in den USA eine politische Dynastie, ähnlich wie die Bushs.

Auf konservativer Seite zögert Jeb Bush noch, hat aber bereits signalisiert, dass er der dritte Bush im Oval Office sein möchte. Hillary Clinton gegen Jeb Bush, es wäre ein Rückfall in die 80er und 90er Jahre. Es wäre keine gute Nachricht für die USA, selbst wenn die Siegerin am Ende Clinton hieße. Demokratie und Dynastien sollten sich vom Verständnis her abstoßen, Demokratien vertragen Dynastien nicht, denn Wandel, Erneuerung und Vielfalt sind keine Charakteristika von Dynastien. Sie funktionieren über klare Strukturen, Hierarchien und Macht. Und Macht zieht Geld an. Nun ist es nicht nur in den USA so, dass Geld ein entscheidender Faktor auf dem Weg zur Macht ist.

Und die Clintons wie die Bushs sind perfekte Beispiele dafür, wie man diese über Jahrzehnte halten kann. Auch ohne politische Ämter sind die Clintons entscheidende Player in der amerikanischen Politik und Gesellschaft. Hillary Clinton würde mit klarer Agenda ins Weiße Haus einziehen, mit festgefahrenen Strukturen, jahrelang an ihrer Seite tätigen Beratern, in ausgetretenen Pfaden – und diese werden aus europäischer Perspektive alles andere als „links“ sein.

Erodierte Mittelschicht

Was die USA im Jahr 2016 aber eigentlich brauchen, ist die Kraft zu Erneuerung. Die Gesellschaft befindet sich in einem massiven Umbruch. Die Mittelschicht ist durch die Wirtschaftskrise erodiert, die Einwanderungsdebatte wird verbittert geführt und der demografische Wandel verändert das Land nachhaltig. Hinzu kommen ideologische Gräben bei tiefgreifenden gesellschaftlichen Fragen – Gleichstellung, Mindestlohn, die Rolle Amerikas in der Welt –, die auch der als Heilsbringer ausgerufene Barack Obama nicht überwinden konnte.

Die USA stehen als Gesellschaft vor der Frage, wie sie künftig leben wollen. Hillary Clinton wird darauf durchaus kluge, aber keine mutigen Antworten finden. Doch genau die braucht das Land. Und wenn sich bei den Demokraten keine wirklichen Gegner finden, die sich in einem Vorwahlkampf einer Auseinandersetzung mit der Dynastie Clinton stellen, wird sie noch nicht einmal gezwungen sein, nach diesen mutigen Antworten überhaupt zu suchen.

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Jahrgang 1980, studierte Journalistik und Amerikanistik an der Universität Leipzig und der Ohio University. Seit 2010 bei der taz, zunächst Chefin vom Dienst, seit Juli 2014 Leiterin von taz.de. Schreibt schwerpunktmäßig Geschichten aus den USA.

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