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Kommentar CSU und ArbeitsmigrationNicht ohne mein Vorurteil

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Fremdenfeindlichkeit ist ihr liebstes Politikrezept: Die CSU stellt die Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch EU-Bürger auf eine Stufe mit Betrug.

Don't destroy my Vorurteil! Bild: dpa

B is zum Neujahrstag sind Rumänen und Bulgaren EU-Bürger zweiter Klasse. Während alle anderen leben und arbeiten konnten, wo sie wollten, durften Rumänen und Bulgaren das bislang ohne weiteres nur, wenn sie den Gastländern besonders nützen.

In Deutschland gibt es dafür Positivlisten mit Mangelberufen. Wessen Qualifikation gebraucht wird, der wird mit Slogans wie „Make it in Germany“ aktiv angeworben.

Viele Fachkräfte kamen diesen Angeboten nach. Deutschland hat von ihnen profitiert. Dass deshalb in einer Reihe osteuropäischer Länder mittlerweile Ärzte und Pflegekräfte fehlen, interessiert hier keinen. Man kann dies als Braindrain geißeln, aber es ist das gute Recht der Migranten, dorthin zu gehen, wo sie die besten Aussichten für sich sehen.

Jetzt fällt die diskriminierende „Freizügigkeitsbeschränkung“ weg. Ab sofort können sich alle Rumänen und Bulgaren EU-weit bewegen, wie sie möchten – egal ob Chirurg oder ungelernt. Da wäre es an der Zeit, etwas zurückzugeben und Migranten aus diesen Ländern die Möglichkeit zu geben, sich in Deutschland ausbilden zu lassen. Wenn sie sich danach entscheiden, zurück in ihre Heimat zu ziehen – wie es oft geschieht, wenn die wirtschaftliche Lage sich bessert –, fair enough. Wenn sie bleiben: auch gut.

Diffamierung als „Armutszuwanderer“

Denn Deutschland kann froh sein um jeden, der kommt. Die demografische Schwindsucht in Kombination mit Arbeitskräftemangel – gerade die Union, die dem Wirtschaftswachstum sonst alles andere unterordnet, müsste zu den größten Zuwanderungsbefürwortern gehören. Das Gegenteil ist der Fall.

Die CSU spricht von „Freizügigkeitsmissbrauch“ und stellt die völlig legale Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch EU-Bürger auf eine Stufe mit Betrug. Sie diffamiert Rumänen und Bulgaren als „Armutszuwanderer“ – und spielt dabei zielgerichtet mit den verbreiteten Vorurteilen gegen Roma.

Mit rationalen Überlegungen hat das nichts zu tun. Aufs Ganze gesehen sind die Migranten aus diesen beiden Ländern, die bislang für eine begrenzte Frist kommen konnten, keineswegs besonders oft auf Sozialleistungen angewiesen. Dass die CSU trotzdem alles daransetzt, damit Rumänen und Bulgaren auch künftig Europäer zweiter Klasse bleiben, zeigt nur: Sie kann einfach nicht ohne. Fremdenfeindlichkeit ist ihr liebstes Politikrezept.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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9 Kommentare

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  • A
    Arne

    "Deutschland hat von ihnen profitiert. Dass deshalb in einer Reihe osteuropäischer Länder mittlerweile Ärzte und Pflegekräfte fehlen, interessiert hier keinen."

    "Denn Deutschland kann froh sein um jeden, der kommt. Die demografische Schwindsucht in Kombination mit Arbeitskräftemangel – gerade die Union, die dem Wirtschaftswachstum sonst alles andere unterordnet, müsste zu den größten Zuwanderungsbefürwortern gehören."

     

    Bei solchen Sätzen könnte einem das Kotzen kommen. Hier redet jemand von "Deutschland" wie von einer Person. Der Anfang jedes Chauvinismus und Nationalismus. Bloß nicht über die MENSCHEN nachdenken, die in Deutschland leben.

    Es gibt nur insofern einen Arbeitskräftemangel an Pflegekrädte innerhalb der BRD,

    wenn man sagt, dass es nicht genügend Pflegekräfte gibt, die breit sind, zu unzumutbaren Löhnen sich den Rücken kaputtzuschinden und danach abgeschoben auf Hartz IV zu leben. Mag sein, dass der Autor hofft, dass es innerhalb der EU noch Menschen gibt, denen es so dreckig geht, dass man ihnen diese halbwegs menschenwürdige Behandlung versagen kann nach dem Motto "Die sollen doch froh sein, wenn sie hier überhaupt was verdienen dürfen."

    Mit einer solchen in den Rassismus gehenden Haltung die CSU zu kirtisieren, ist einfach lächerlich. Der Autor ist schon so nah an der CSU-Denke, dass es empörend ist.

  • "Die demografische Schwindsucht..."

     

    Na ja um die Die demografische Schwindsucht zu stoppen, die Alterspyramide und den Sozialstaat zu retten, braucht Deutschland man natürlich Einwanderer. Aber in erster Linie Menschen die in die Sozial- und Steuerkassen nur einzahlen.

    Also junge gut ausgebildete Menschen ohne Kinder und ohne Familienanhang. Klingt doof ist aber so.

  • R
    Rob

    "Da wäre es an der Zeit, etwas zurückzugeben"

     

    An wen denn? Wofür und warum?

  • G
    gast

    Wie kann man von Arbeitskräftemangel reden, wo es 3 Millionen "offizielle" Arbeitslose gibt und etwa 4 Millionen Hartz IV Empfänger.

     

    Sollte man da nicht Staatsgelder einsetzen für wirkliche Umschulungen und Weiterbildungen um unsere Arbeitslosen wieder in den Arbeitsmarkt zu bringen, statt Sprachkurse oder Computerkurse oder sonst so "sinnvolle" Maßnahmen die nur eins bringen, die in der Maßnahme sind erscheinen nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik ?????

  • "Denn Deutschland kann froh sein um jeden, der kommt."

     

    Kein Einwanderungsland denkt so. Einwanderungsländer treffen stets eine Auswahl. Mag grässlich sein, aber ist nunmal notwendig. Sorry Traumwelt, hallo Realität

    • T
      treffer
      @Tim Leuther:

      Genau so ist es!! Danke!

  • fremdenfeindlichkeit? ja, aber klar. nur, der erfolg spricht für die csu...

  • B
    Brandt

    Die Debatte im Blätterwald halte ich bereits für entschieden. Die konservative Presse von der FAZ bis zum Handelsblatt verurteilt den Rechtspopulismus. In der EU wird schon seit einem Jahr über die angebliche Armutsmigration debattiert. Die Bundesregierung hält sich zurück mit Zahlen, weil sie gemerkt hat, dass es nur einige Hundertschaften Wohlfahrts-Migranten in den Städten gibt.

     

    Gesetzlich steht den Rumänen und Bulgaren weder Hartz 4 noch Arbeitslosengeld I zu. Arbeitslosengeld II steht ihnen erst nach 12 Monaten sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung zu.

     

    Merkwürdigerweise reitet die sozialdemokratische bis grüne Presselandschaft auf angeblichen Rassismus von Seehofer herum, obwohl ich das als Sozialdarwinismus klassifizieren würde.

     

    Die Sarrazin Debatte mit den dicken Lob für osteuropäische Migranten hat sich nicht in den Köpfen der Rechten gesetzt. Man redet wieder weltfremd von Multikulti und Einwanderung in die Sozialsysteme, ohne zu sehen Kapitalmobilität, Warenmobilität und Arbeitsmobilität gehören zusammen, um einen stabilen Währungsraum zu erhalten.

     

    Die Ungleichgewichte in der EU liegt zum großen Teil begründet in der Immobilität der EU Arbeitnehmer - gerade die hohe Mobilität der US Amerikaner zeigt das für den US Dollar. Ein einheitlicher Währungsraum funktioniert nicht ohne Arbeitsmobilität.

     

    Die desolate Lage der Kommunen liegt nicht zuletzt an der Belastung der Kommunen mit dem U3 Ausbau, ohne Gegenfinanzierung. Es wurden außerdem durch die Volksparteien gezielt strategische Haushaltsdefizite erzeugt, um öffentliches Eigentum durch Cross-Border Leasing, Public Private partnership und Zinsswaps mit Schweizer Franken zu überschulden.

     

    Die Position der Kommunen in der Frage halte ich für völlig falsch dargestellt. Die Kommunen wollen einen größeren Anteil an der Gemeinschaftssteuern von Bund und Länder, und spielen die Sache bloß hoch, um aus der Umklammerung durch die Haushaltssicherungsgesetze zu kommen.

  • E
    Erinnerung

    Der Verf. ist Schöpfer des intellektuell beeindruckenden Begriffs "Nützlichkeitsrassimus". Seither für mich nicht mehr so recht für voll zu nehmen. Bedauerlich, hätte mir nämlich einen sachgemäßen Kommentar in der taz von einem klugen Kopf gewünscht.