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Kommentar BundestagRichter ersetzen Politiker

Matthias Lohre
Kommentar von Matthias Lohre

Dass Karlsruhe einspringen muss, wenn es im politischen Betrieb hakt, ist kein Zeichen fürs Funktionieren des Systems, sondern für seine Krise.

D ie Karlsruher Richter, so mag es scheinen, biegen alles wieder hin, was das Parlament vernachlässigt oder die Regierung unter den Tisch kehrt. So war es bei der Frage, wie viel Einfluss der Bundestag in einer EU haben darf, die den Vorgaben des Lissabon-Vertrags folgt. Auch als die Bundesregierung dem BND-Untersuchungsausschuss Informationen vorenthielt, sorgte das Gericht für Abhilfe. Und nun entschieden die Richter, die Regierung dürfe Fragen der Bundestagsabgeordneten nicht pauschal mit dem Hinweis abfertigen, die Antworten darauf seien zu geheim für die Volksvertretung.

Alles in Ordnung also? Keineswegs: Dass Karlsruhe einspringen muss, wenn es im politischen Betrieb hakt, ist kein Zeichen fürs Funktionieren des Systems, sondern für seine Krise.

Seit Jahren nehmen Abgeordnete und Öffentlichkeit resigniert die Entmachtung des Parlaments hin. Die meisten Entscheidungen fallen heute in Bundesministerien und in Brüssel, nicht im Bundestag. In vielen Fällen ist dies sogar rechtens und notwendig. Dennoch: Unter der sogenannten großen Koalition hat die Apathie unter den Parlamentariern ungeahnte Ausmaße angenommen.

Mitglieder der Regierungsfraktionen ergehen sich im Gefühl, im Zweifel ohnehin nur Stimmvieh für die Entscheidungen ihrer Parteioberen zu sein. Oppositionspolitiker hingegen müssen die doppelte Kränkung erdulden, nur protestieren zu können - und selbst damit kaum Gehör zu finden. Die Anrufung Karlsruhes erscheint da vielen als willkommener Hebel. Doch eine höchstrichterliche Entscheidung aus Karlsruhe sollte die Ausnahme bleiben und nicht zum Regelfall werden. Der Bundestag muss wieder selbstbewusster, lauter werden. Mit einer Neuauflage der großen Koalition geht das nicht.

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Matthias Lohre
Schriftsteller & Buchautor
Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.
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2 Kommentare

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  • S
    schnipp-schnapp

    >> Natürlich sollte jede Diktatur eine Ausnahme bleiben ...

     

    Dem Artikel fehlt einfach der Bezug zur Realität.

    Denn - wenn das Parlament, das ja physisch per Abstimmung die Entscheidungen trifft, chronisch die Verfassung ignoriert, dann gibt es dafür doch Gründe.

     

    Und die hängen damit zusammen, dass wir uns bereits im Übergang zu einer Diktatur befinden - bzw. zu einer Oligarchie.

     

    Die Politik - siehe den Banküberfall Josef Ackermanns et al. auf die deutschen Steuerzahler - die Verwaltung - siehe den Steuerfahnderskandal in Hessen - und das Militär - die Landser in Afghanistan mit der Aussicht, demnächst auch in deutschen Innenstädten Aufbauarbeit zu leisten - sind der demokratischen Kontrolle doch längst entglitten.

     

    Gemacht wird doch eh nur das, was der Klasse der Besitzenden - und deren Klientel - dient.

     

    Allein schon das die Verfassung mittlerweile von Juristen - die traditionell schon immer weit rechts standen und stehen - gegen die Übergriffe der Regierenden 'geschützt' werden muss, spricht doch Bände.

     

    Und wer glaubt, dass sich das mit dem Ende der grossen Koalition zum Besseren wenden wird, dem ist wohl nicht mehr zu helfen.

  • G
    gregor

    Die Mehrheit der Bundestagler sind doch Juristen? So oder so, bedeutet die Herrschaft der Richter, formal gesehen, dass die Volksmacht keine Kraft hat, dem Recht zu folgen. Man geht also zu der Herrschaft der Autoritäten über. Natürlich sollte jede Diktatur eine Ausnahme bleiben, aber die Diktatur der Verfassungsrichter ist nicht die schlechteste im Vergleich zu der anderen Diktaturen.