Kommentar Brexit-Missverständnisse: Vom Kontinent abgeschnitten
Europa mokiert sich gerne über Großbritannien, das angeblich nicht weiß, wie es den Brexit vollziehen will. Es ist das reinste Sommertheater.
E s gehört zum guten europäischen Ton im Sommer 2017, sich über den Brexit zu mokieren: Die Briten wüssten nicht, was sie wollen, ist oft zu hören, und Premierministerin Theresa May sei so geschwächt, dass es keinen klaren Kurs mehr gebe. In EU-Kreisen wird gerne behauptet, die Briten hätten keine klare Position, auch wenn sie eine haben.
Die EU hat demgegenüber natürlich immer eine klare Position. Sie ist ja ein mächtiger, geschlossener Staatenbund, dessen 27 Mitglieder immer einer Meinung sind, und Großbritannien nur eine zerstrittene und verwirrte Insel – am Rande des Bürgerkriegs, wie man neulich in einer deutschen Tageszeitung für kluge Köpfe lesen durfte.
Ein Sprecher der britischen Premierministerin Theresa May hat Berichten über eine vorübergehende Beibehaltung der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach dem Brexit widersprochen. „Die Personenfreizügigkeit wird im März 2019 ein Ende haben“, sagte der Sprecher am Montag. Es werde neue Regelungen und ein Registrierungssystem für EU-Einwanderer nach dem EU-Austritt geben. Über die Details zu spekulieren, wäre ein Fehler. Die Position der Premierministerin dazu habe sich seit ihrer Grundsatzrede zum Brexit im Januar nicht geändert, teilte der Sprecher mit. Das Statement aus dem Regierungssitz Downing Street kommt, nachdem Mitglieder von May's Regierung in den vergangenen widersprüchliche Aussagen zu dem Thema gemacht hatten. Die Premierministerin ist derzeit im Urlaub. (dpa)
Nun hat also ein May-Sprecher gesagt, dass mit dem Brexit auch die Personenfreizügigkeit ende. Dies wurde prompt als Neuigkeit vermeldet. Dabei ist es erstens eine Selbstverständlichkeit und zweitens schon sei Januar ausdrücklich britische Regierungspolitik. Übergangszeiten nach dem Brexit gehören ebenfalls dazu. Auch dies scheint in den sommerlichen Presseberichten, die jede Ministeräußerung aus London über Übergangszeiten zur Kehrtwende erklären, in Vergessenheit geraten zu sein.
Natürlich gibt es in Großbritannien unterschiedliche Politiker mit unterschiedlichen Meinungen; dies soll zuweilen auch in anderen EU-Staaten vorkommen. Aber die britische Brexit-Position ist klar: Im März 2019 treten wir aus, Neuregelungen danach treten in Kraft, wenn sie fertig sind, und es wäre gut, darüber mal zu reden.
Solange aber die EU lieber darüber redet, dass London sich nach dem EU-Austritt per Vorauszahlung am EU-Budget zu beteiligen hat und dass für britische Einwanderungsgesetze keine britischen Gerichte zuständig sein dürfen, sondern nur die der EU, so lange werden die Brexit-Verhandlungen vor allem aus Leerlauf bestehen. Und man wird weiter aus dem Kontinent auf London zeigen und sagen: Die wissen ja gar nicht, was sie wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen