Kommentar Brandstiftung Hamburg: Den Druck aufrechterhalten
Die Skepsis gegenüber der Polizei ist berechtigt. Zu oft wurde bisher gegen die Opfer ermittelt und nicht gegen Rechtsextreme.
E iner der folgenschwersten Hausbrände der vergangenen Jahre in Hamburg mit drei Toten und 27 zum Teil schwer verletzten Menschen gilt als aufgeklärt. Der Täter, ein 13-Jähriger Junge, sei gefasst. Die Polizei konnte beruhigt verkünden, es sei keine politisch motivierte Tat gewesen – obwohl es sich beim Haus in der Eimsbütteler Straße 75 um eine Flüchtlingsunterkunft handelt.
Dass eine solche über die Bild-Zeitung verbreitete Nachricht unmittelbar vor der Trauerkundgebung für die Opfer in gesellschaftskritischen Kreisen zunächst Skepsis hervorruft, ist verständlich. Schließlich hat sich die Zahl der rechtsradikalen Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte 2013 gegenüber dem Vorjahr auf 43 verdoppelt.
Und auch die Erinnerungen an das Drama von Lübeck sind im Norden wieder wach geworden, bei dem im Januar 1996 bei einem Brandanschlag auf eine Asylunterkunft drei Erwachsene und sechs Kinder ums Leben kamen. Obwohl sich Neonazis aus dem mecklenburgische Grevesmühlen am Tatort befanden und auch Brandspuren bei ihnen gefunden worden waren, wurde ein libanesischer Hausbewohner der Tat angeklagt, weil ein Sanitäter im Rettungswagen von dem Verletzten Worte wie „Wir warens“ gehört haben wollte. Erst Jahre später wurde der Libanese rechtskräftig freigesprochen. Zu einer Anklage gegen die Neonazis kam es nicht.
Auch in Hamburg gibt es die Befürchtung, die wahren Brandstifter könnten davonkommen, indem der ideale Täter – ein 13-Jähriger indischer Herkunft und von der Jugendfeuerwehr in Altona – präsentiert wird: strafunmündig, mit Migrationshintergrund und psychisch krank.
Dass es sich in Hamburg nicht um einen klassischen Brandschlag von Neonazis handelt, hat der Brandverlauf deutlich gemacht. Was aber von der Polizei in einem frühen Stadium behauptet wurde – so etwas habe es in Hamburg noch nie gegeben – ist falsch:
Im August 1980 schleuderten Neonazis der Manfred-Roeder-Gruppe in ein Flüchtlingsheim in Billbrook drei Molotow-Cocktails, wodurch zwei vietnamesische Flüchtlinge um Leben kamen. Das war bundesweit der erste Anschlag dieser Art. Solche polizeilichen Ausblendungen schaffen Misstrauen und bergen die Gefahr, mögliche Hintergründe nicht zu erkennen, wie wir vom „Nationalsozialistischen Untergrund“ wissen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja