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Kommentar Blockaden rechter MärscheSchützenswerte Grauzone

Malene Gürgen
Kommentar von Malene Gürgen

Staatsanwälte ermitteln gegen Politiker, weil sie bei Blockaden eines rechtsextremen Marsches dabei waren. Ein fatales Zeichen in diesen Zeiten.

Polizeieinsatz beim rechtsextremen „Frauenmarsch“ Foto: dpa

E s war ein Paukenschlag: Am 13. Februar 2010, dem Jahrestag der Bombardierung Dresdens, wollten Tausende Neonazis durch die Stadt marschieren, so wie sie es in den elf Jahren zuvor getan hatten. Doch an diesem Tag kamen sie nicht weit: Mehr als zehntausend Gegendemonstranten blockierten die Route. Im darauffolgenden Jahr gelang die Blockade ­erneut. Der größte Neonaziaufmarsch Europas war damit Geschichte.

Der Erfolg von Dresden trug entscheidend dazu bei, dass das Mittel der Sitzblockade gegen rechtsextreme Aufmärsche gesellschaftlich breite Anerkennung genießt. Rechtlich befindet man sich dabei, wie oft bei Mitteln des zivilen Ungehorsams, in einer Grauzone: Auch eine Sitzblockade steht unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit, selbst dann, wenn sie sich auf der Route einer anderen Demonstration befindet. Wer an einer polizeilich bereits aufgelösten Versammlung teilnimmt, kann allerdings eine Ordnungswidrigkeit begehen und, sollte diese Versammlung eine andere tatsächlich verhindern, auch eine Straftat.

Eine Grauzone bedeutet aber eben, dass es Ermessensspielraum gibt. Und wenn ein breiter Konsens besteht, dass es legitim ist, Neonazis zu blockieren, wenn sich, wie 2010 in Berlin, sogar ein ehemaliger Bundestagspräsident zu den Blockierern setzt – „Thierse, blockierse“ –, dann kann man davon ausgehen, für die Beteiligung an dieser Protestform eher nicht belangt zu werden. Dass die Staatsanwaltschaft nun gegen verschiedene Politiker ermittelt, weil sie bei den Blockaden des rechtsextremen sogenannten Frauenmarschs in Berlin letzten Februar dabei waren, dass bei der grünen Bundestagsabgeordneten Canan Bayram sogar erwogen wird, ihre Immunität aufzuheben, ist deswegen keine Kleinigkeit.

Mit dem Erstarken der AfD haben die Angriffe auf diesen gesellschaftlichen Konsens zu Sitzblockaden zugenommen. Nun haben diejenigen, denen diese Praxis ein Dorn im Auge ist, ihren ersten großen Erfolg errungen. Ein fatales Zeichen in Zeiten, in denen Protest gegen rechtsextreme Aufmärsche so nötig wie lange nicht mehr scheint.

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Malene Gürgen
Reportage und Recherche
Redakteurin im Ressort Reportage&Recherche | Jahrgang 1990 | Seit 2014 Redakteurin der taz, zunächst im Berlinressort | 2016-2020 schwerpunktmäßig Recherchen zur extremen Rechten, dazu 2019 "Angriff auf Europa" im Ch. Links Verlag erschienen (mit C. Jakob, P. Hecht, N. Horaczek, S. am Orde) | 2020-2022 als Produktentwicklerin verantwortlich für die Konzeption der wochentaz | 2022-2023 Redakteurin im Ressort Zukunft – Klima Wissen Utopien | Seit 2023 im Investigativteam der taz.
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9 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Einen gesellschaftlichen Konsens, dass man andersdenkenden ihr Demonstrationsrecht durch Blockaden nehmen darf, hat es in Deutschland - zum Glück - nie gegeben. Ein solcher Konsens würde sich auch gegen ganz wesentliche Wertentscheidungen unserer freiheitlichen Verfassung stellen.

    Das Demonstrationsrecht der - unsäglichen und rassistischen - AfD ist ein wesentlich höheres Gut als das - emotional durchaus verständliche - Bedürfnis von deren Gegnern, sie am Demonstrieren zu hindern. In einer freiheitlichen Demokratie muss man auch Meinungen, sei es per Presse, sei es per Demonstration, aushalten, die schwer auszuhalten sind. Denn die Alternative ist, dass irgendwer entscheidet, welche Meinungen zulässig sind.

    Gegendemos: ja bitte, je mehr desto besser. Aber einer nicht-verbotenen politischen Partei ihr Demonstrationsrecht faktisch zu nehmen, ist ein Angriff auf unsere Verfassung.

  • Ziviler Ungehorsam ist GG-konform (siehe oben). Staatsanwaltschaften ermitteln nach Legalitätsprinzip auch ohne Anzeigen. Das ist nicht bedenklich, sondern Teil des Rechtssystems.

  • Ein entschiedenes Nein, Frau Gürgen.

    Wenn Sie und ich uns in zivilem Ungehorsam üben, ist das eine Sache. Ggf. tragen wir eben das Bußgeld, notfalls die Geldbuße, und gut ist.

    Wenn sich Politiker des Bundestages des zivilen Ungehorsams bedienen, um ihre politische Ziele umzusetzen, ist das dagegen inakzeptabel.

    Bei Herrn Thierse wird das noch deutlicher als bei Frau Bayram.

    Wirklich ein fatales Zeichen: den Bundestagspräsidenten interessieren, so machte er bei der Aktion deutlich, die Gesetze, die der Bundestag verabschiedet, also überhaupt nicht, sobald sie nicht seiner politischen Meinung entsprechen.

    Wenn er sich schon nicht an die Gesetze hält, warum sollte ich das dann tun?

    Darüber hinaus hat er sich Zutritt zu dem Demonstrationsraum verschafft, indem er seinen Bundestagsausweis vorzeigte und so tat, als wolle er sich das Ganze mal anschauen.

    Das heißt, er hat seine Privilegien als Bundestagspräsident genutzt.

    Und dann setzte er sich hin, machte einen auf Sitzblockade und wartete, dass die Polizei ihn wegträgt.

    Deutlicher kann man als Bundespräsident kaum signalisieren, dass man meint, man würde über dem Gesetz stehen.

    Insofern war Herr Thierse noch einen Zahn schärfer als Frau Bayram.

    Versammlungsfreiheit gilt eben nicht nur für die, die die eigene Meinung vertreten.

    Damit muss auch und gerade ein Bundestagspräsident leben können.

    Und die Erwähnung von Herrn Thierse in Ihrem Artikel zeigt genau, wie fatal sein Handeln war.

    Ermessensspielraum ist auch keine "Grauzone".

    Es hat nämlich pflichtgemäß zu erfolgen und dient der Bürokratie, auf die komplexe Lebensrealität eingehen zu können.

    Deshalb ist es etwas anderes als Willkür.

    Und wenn es einen so breiten Konsens gibt, dass Sitzblockaden legitim sind, dann hätten Frau Bayram und Herr Thierse sich bemühen sollen, dass die Gesetze entsprechen geändert und Sitzblockaden legal werden.

    • @rero:

      Ich möchte hier nicht genauer auf die recht komplizierten rechtlichen Hintergrund eingehen. Ziviler Ungehorsam ist allerdings vom Grundgesetz gedeckt. Thierse bewegt sich hier innerhalb des rechtlichen Rahmens. Entscheidet man sich dafür an Aktionen des zivilen Ungehorsam ist das Vorgehen von Thierse sogar ein Vorbild. Er setzt sich und lässt sich wegtragen. Er leistet weiter keinen Widerstand. Jeder Jurist würde diese Vorgehen empfehlen.

      Die legale Übertretung einer Regel im Falle des zivilen Ungehorsam, ist ein enorm hoher gesellschaftlicher Fortschritt. Wir sollten ihn wie das Bundesverfassungsgericht schützen.

  • Ich sehe das völlig anders. Es ist wichtig zu zeigen, dass der Rechtsstaat für alle gilt.

    Ganz anders wäre die Lage, hätte die Staatsanwaltschaft ohne Anzeige die Ermittlungen aufgenommen. Das wäre tatsächlich bedenklich!

  • 8G
    83492 (Profil gelöscht)

    Warum die Aufregung, das Urteil kommt nicht von der Staatsanwaltschaft sondern dem Gericht. Kein Vertrauen in den Rechtsstaat?

    • @83492 (Profil gelöscht):

      Nope, die Geschichte, wie die heutige Zeit zeigen, dass dieses blinde Vertrauen unangebracht ist. Hätte man nach dem Weltkrieg immer brav das Maul gehalten, wäre die aktuelle Situation noch heikler, als sie eh schon ist. Der NSU-Prozess, die ganzen Freisprüche und Minimalstrafen, wenn eindeutig rechte Strukturen und Personen involviert sind, bei gleichzeitiger Rechtsbeugung nach und während linker Demos und Kundgebungen, lassen nichts gutes verhoffen. Du hast Vertrauen in den Rechtsstaat? Auf welche Analyse baust du dieses?

  • Wundert mich nicht, dass einige Staatsanwälte mit der AdD sympathiesieren.

    • @Jakob Cohen:

      Man muss aber so ganz und gar nicht mit der AfD sympathisieren, um seinen Job zu machen. Frau Gürgen argumentiert hier mit ein paar Annahmen, die für einen Staatsanwalt leider nicht von Belang sind:

      1. "Grauzone":



      Versammlungsrecht und Meinungsfreiheit der Blockierer sind nicht schrankenlos gewährt und finden ihre Grenzen unter anderem in Versammlungsrecht und Meinungsfreiheit der rechten Demonstranten. Entgegen landläufiger Meinung führt nämlich eine - sagen wir: mit Teilen der Verfassung nur schwer vereinbare - politische Positionierung nicht per se zum Verlust verfassungsmäßiger Freiheitsrechte. Die reichen genau so weit, wie die gemachten Aussagen nicht verboten sind.

      Eine Versammlung unter freiem Himmel ist darüber hinaus auch genehmigungspflichtig - unter anderem DAMIT sie nicht die Rechte Anderer beeinträchtigt. Diese Genehmigungspflicht hat genauso wie die Freiheit selbst Verfassungsrang.



      Dabei ist es egal, ob die "Anderen" Rechte, Kaninchenzüchter, Biobauern oder buddhistische Mönche sind. Von daher ist die "Grauzone" keine ganz saubere Behauptung. entweder die Demo war legal oder sie war's nicht.

      2. "Was der Thierse macht..."



      Die Teilnahme eines Bundestagabgeordneten ist kein Vertrauenstatbstand, der andere Teilnehmer an einer Straftat Straflosigkeit garantieren könnte. Im Gegenteil sollte dem Bürger klar sein, dass die Immunität des Abgeordneten ihn möglicherweise ein wenig übermütig werden lassen könnte - gerade was Exzesse bei der Vertretung seiner politischen Ansichten betrifft. Es gibt im StGB Vorschriften, unter welchen Umständen man sich einbilden "darf", das was man tut sei nicht verboten. "Ich tu, was Wolfgang Thierse tut" gehört nicht dazu.

      3. "Ermessenspielraum"



      Der Staatsanwalt hat bei Amtsermittlungsdelikten zu ermitteln, ob ein "hinreichender Tatverdacht" vorliegt (=eine Verurteilung überwiegend wahrscheinlich ist). In dem Fall hat er Anklage zu erheben. Es gibt Ausnahmen, aber auch die sind keine freien Ermessenstatbestände.