piwik no script img

Kommentar Ausstieg aus DesertecDas Gazprom der Erneuerbaren

Kommentar von Martin Reeh

Bestens: Mit dem Ausstieg von immer mehr europäischen Firmen wächst die Wahrscheinlichkeit, dass Europa keinen Solarstrom aus Nordafrika beziehen wird.

Parabolrinnen zur Nutzung der Sonnenenergie in Andalusien Bild: dpa

V on den Grünen war am Wochenende zum Ausstieg von Eon und Bilfinger aus dem Desertec-Konsortium nichts zu hören. Aber zumindest insgeheim müssten sie erleichtert sein. Denn mit dem Ausstieg von immer mehr europäischen Firmen wächst die Wahrscheinlichkeit, dass Europa keinen Solarstrom aus Nordafrika beziehen wird.

Das Desertec-Projekt hätte gute Chancen gehabt, so etwas wie das Gazprom oder der Irak der Erneuerbaren zu werden: Es hätte die Abhängigkeit von einer instabilen Region befördert, die künftig notwendig werdende Sanktionen – wie jetzt gegen Russland– schwierig macht und im schlimmsten Fall Überlegungen zu Militärinterventionen reifen lässt.

Bei der Desertec-Initiative, aus der die deutschen Firmen jetzt ausgestiegen sind, wusste man um das Problem – und schlug daher vor, umfangreiche Gaskraftwerkskapazitäten in Europa als Reserve bereitzuhalten. Einige der beteiligten Firmen hätten damit doppelt abkassiert: einmal für Desertec, das zweite Mal für die Gaskraftwerke. Der Umstieg auf 100 Prozent Erneuerbare wäre so verzögert worden.

In der Desertec-Frage hatten Grüne und SPD ihre üblichen Rollen in der Energiepolitik vertauscht. Der schärfste Kritiker, der mittlerweile verstorbene Hermann Scheer, war Sozialdemokrat. Er fürchtete wegen Desertec um den Ausbau der Erneuerbaren in Deutschland.

Bei den Grünen hatte noch 2012 der damalige Abgeordnete Hans-Josef Fell eine Subvention über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) vorgeschlagen. Deutschen Konzernen sollte so auch der Umstieg auf Erneuerbare erleichtert werden. Jetzt haben beide unrecht behalten: Der Ausbau von Photovoltaik und Windkraft macht Desertec unrentabel. Das könnten die Grünen als ihre Erfolgsgeschichte verkaufen – hätten sie selbst nur genug an den Erfolg der deutschen Energiewende geglaubt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Wenn man sich diese Frontalpleite genau anscheint hat man bei der deutschen Energiewende doch wohl nicht alles falsch gemacht.

     

    Ich hoffe, die Länder Nordafrikas, die als selbstlose Stromlieferanten für das reiche Europa auserkoren wurden erkennen das Potential, das die EE (vor allem Wind und PV) zur Unterstützung der in Nordafrika meist dezentral ausgerichteten Stromversortgung haben könnte.