piwik no script img

Kommentar Attackierte FlüchtlingsheimeEine übergreifende Strategie

Kommentar von Andreas Speit

In der letzten Zeit wurden vermehrt Anschläge auf geplante Unterkünfte für Asylsuchende verübt. Die rechte Szene feiert den Hass.

Der Fall Reichertshofen, Bayern: In der Nacht zum 16. Juli wurde ein Brandanschlag auf das geplante Flüchtlingsheim verübt Foto: dpa

R eichertshofen und Meißen. Limburgerhof und Tröglitz. Lübeck und Zossen. Vorra und Escheburg. Remchingen. All diese Städte und Gemeinden haben eins gemein: Noch bevor Menschen dort Schutz vor Krieg, Verfolgung und Not finden konnten, wurden die geplanten Unterkünfte angezündet oder beschädigt. Eine neue Nichtwillkommenskultur, die die rechtsextreme Szene feiert und befeuert: Die „Schmerzgrenze“ sei erreicht, „die Deutschen“ würden erwachen.

In den vergangenen Monaten fand die neue Aktionsform immer mehr Zuspruch. Warum erst auf „die Asylbetrüger“, „die Kriminellen“ und „Sozialsystemschmarotzer“ warten? Warum nicht gleich ihre Ankunft verhindern? „Wann, wenn nicht vorzeitig, wann, wenn nicht sofort“ scheint vorzuherrschen, wenn bekannt wird, wo eine Unterbringung geplant ist. Selbst wenn die Nutzung nur verzögert wird, ein Zeichen ist gesetzt – gegen die einzelnen Flüchtlinge und Asylsuchenden und die gesamte Flüchtlings- und Einwanderungspolitik.

Im Internet weist die Szene von NPD bis „Der Dritte Weg“ schon länger auf unterschiedliche Weise auf bestehende Flüchtlingsunterkünfte oder geplante Unterbringungsorte hin. Denn die neue Aktionsform löst nicht die alte Aktionsform ab. Seit Monaten greifen „Unbekannte“ vermehrt Unterkünfte an, in denen Menschen untergebracht sind. In Böhlen schossen Täter auf eine Flüchtlingsunterkunft.

Mit den militanten Aktionen offenbart die Szene aber auch, dass es für sie kein Widerspruch ist, zugleich mehr kommunale Akzeptanz zu suchen. In ihrer Strategie geht das Aufgreifen von sozialen Themen mit den Angriffen auf die ausgemachten Feinde einher. Um einen Anschlag zu verüben, muss man aber kein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben; die gewöhnlichen rassistischen Vorstellungen genügen. In Escheburg zündete ein biederer Steuerbeamter die geplante Unterkunft an. Die „Ja, aber“-Rassisten könnten auch andernorts gezündelt haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Danke Horst Seehofer...... ich hoffe du siehst nun, was ein paar unbedachte Parolen in einem Landtagswahlkampf auslösen können....

    Wo bleiben die Politiker, die Wort ergreifen und den Menschen die Welt erklären? Statt dessen haben wir Proleten, die den dumpfesten Stammtischparolen hinterher hecheln....

  • Solange unsere ermittelnden und schützenden öffentlichen Hände nur zusehen, nichts tun und unter Missachtung unseres für alle Menschen gültigen Grundgesetzes wegsehen, nicht neutral und gewissenhaft ermitteln, werden uns diese Taten begleiten. Unser Vertrauen in sie und untereinander wird weiter und weiter beschädigt. Mit ihrer passiven Haltung wird unsere Gesellschaft diskriminiert, unterhöhlt, kriminalisiert und zerstört.

     

    Wir wünschen uns eine Polizei, die neutral und korrekt arbeitet und allen Menschen Schutz und Unterstützung bietet, nicht nur denen, deren Denkweise ihnen neben anderen Attributen nicht missfällt..

     

    Vielleicht muss sie dazu erst einmal in den eigenen Reihen korrekt arbeiten.

  • Mein Plädoyer gegen das "Aber"... http://youtu.be/E_djQWnCT9U

  • Was ist über die Ermittlungsbemühungen derweil zu hören? Sind die ähnlich dilettantisch, wie das bei der NSU war? Ich fürchte ja. Es sind die gleichen Innenminister, die es schlichtweg dulden, dass da Gruppen mit Hitlergruß vor Flüchtlingsheimen auftreten.

  • "Zahlreiche Handlungen, die Frauen als Verletzung ihrer sexuellen Selbstbestimmung ansehen, sind […] im Sexualstrafrecht nicht erfasst", schreibt Christian Rath gerade über Deutschland. Der aktuelle Justizminister will das ändern. Er baut zu diesem Zweck den § 179 um, der den "sexuelle[] Missbrauch widerstandsunfähiger Personen" sanktioniert. Dass ein geänderter § 179 in einem Fall wie dem von Cilem Dogan allerdings irgendwem helfen kann, glaube ich nicht.

     

    Was hat eine Pistole unter einem Kopfkissen verloren? Wie weit ist es aus dem Schlafzimmer zur nächsten Polizeistation? Und wann wäre der Verhandlungstermin gewesen?

     

    Wenn in einer Gesellschaft insgesamt ein Klima der Gewalt vorherrscht, nützen die besten Gesetze nichts. Erwachsene, gesunde Menschen wollen nun mal selten "widerstandsunfähigen Personen" sein, die sich von irgendeinem Staat beschützen lassen müssen. Wenn die Gesellschaft ihnen oft genug erzählt hat, dass gewaltfreier Widerstand kein echter Widerstand ist, werden aus "klassischen Opfer[]" all zu leicht unorthodoxe - die dann als "Heldin" gefeiert werden. Das ist dann nämlich eine Frage der Ehre. Männer, die morden, weil sie sich als Opfer fühlen, sind ja doch ein Klassiker. In der Light-Version zünden sie auch erst einmal bloß leerstehende Gebäude an.

     

    Die Aufschrift auf dem T-Shirt des wehrhaften Opfers Cilem Dogan sollte jedenfalls nicht nur dem türkischen Saat zu denken geben, sondern auch dem deutschen. Vor allem aber müssten sie allen Gesellschaften ein Anlass sein, darüber nachzudenken, welche Art von Helden sie eigentlich wollen. Ehrenmorde galten bisher als nicht mehr ganz zeitgemäß. Bleibt das so? Oder sind auch türkische Internet-Nutzerinnen konservativer als sie selber glauben?

     

    Sie denkt, sie hat gelernt aus der Vergangenheit. Ich denke, sie irrt sich. Es ist nicht all zu weit von Adana zum IS. Und von Reichertshof und Meißen bis nach Auschwitz auch nicht. Ich, jedenfalls, bin nicht bereit.

    • @mowgli:

      Na. Das sollte wohl beim Artikel "Türkin erschießt gewalttätigen Ehemann" landen. ;-)