Kommentar Armutsmigration: Placebo gegen die AfD
Die CSU kann stolz von sich behaupten, sie habe etwas getan: gegen jenen „Sozialmissbrauch“, den sie zuvor zum Popanz aufgeblasen hat.
E s ist gut, dass die Bundesregierung all jenen Kommunen, die knapp bei Kasse sind und sich deshalb bei der Integration armer Zuwanderer und Flüchtlinge überfordert zeigen, jetzt unter die Arme greifen will. Es ist gut, dass sie für diese Gruppen jetzt gezielte Integrationsangebote schaffen will, und es ist gut, dass sie der Ausbeutung von Arbeitsmigranten durch Dumpinglöhne und Wuchermieten einen Riegel vorschieben möchte. Trotzdem wäre es schön gewesen, wenn all diese Maßnahmen unter einem anderen Stern gestanden hätten.
„Wer betrügt, der fliegt“, hatte die CSU zur Jahreswende getönt, als die Freizügigkeit in der EU auf Rumänen und Bulgaren ausgedehnt wurde. Sie suggerierte damit, dass es die Mehrheit der Einwanderer aus diesen Ländern nur auf deutsche Sozialleistungen abgesehen hätte. Und sie unterstellte, dass, wer arm ist, automatisch zum Betrug neigen müsse.
Beides ist falsch. Mit Wörtern wie „Sozialtourismus“ und „Armutsmigration“, das zur Chiffre für Roma geworden ist, hat die CSU an alte, antiziganistische Vorurteile appelliert und die Debatte vergiftet. Und das alles nur, um zu verhindern, dass rechts von ihr eine Partei wie die AfD diese Ressentiments aufgreift und erstarkt.
Nichts spricht dagegen, den betrügerischen Bezug von Sozialleistungen zu erschweren. Aber für den massenhaften „Sozialmissbrauch“ durch Einwanderer aus EU-Ländern, vor dem die CSU warnt, hat sie bis heute keinen Beleg. Mit den Maßnahmen, die die Bundesregierung jetzt beschlossen hat, kann sie trotzdem zufrieden sein. Von besonders steilen CSU-Forderungen ist zwar nicht viel übrig geblieben, und manches davon ist nur ein Placebo für ein Problem, das es so nie gab.
Aber die CSU kann jetzt stolz behaupten, sie hätte etwas gegen einen „Sozialmissbrauch“ getan, den sie selbst erst zum Popanz aufgeblasen hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja