Kommentar Antisemitismus-Vorwürfe: Seltsame Querfronten
Dass die Freie Universität eine Dozentin aufgrund höchst fragwürdiger Vorwürfe quasi suspendiert, ist skandalös. Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut.
![Eingang Audimax der Freien Universität Berlin Eingang Audimax der Freien Universität Berlin](https://taz.de/picture/1737013/14/9bbf4f53eb78440a89814a6caa3136bd_edited_60477833_ed49b57748.jpeg)
M an kann sich darüber streiten, ob es historisch angebracht ist, Israel als einen „Kolonialstaat“ zu bezeichnen oder von „Apartheid“ zu sprechen, um dessen Politik gegenüber den Palästinensern zu beschreiben. Und man kann sich darüber streiten, ob es moralisch angebracht ist, den Staat Israel zu boykottieren oder sogar für einen Israel-Boykott zu werben. Nicht streiten kann man sich aber darüber, dass man darüber streiten darf. Denn Meinungsunterschiede muss man in einer Demokratie aushalten. Das gehört zur Meinungsfreiheit, die durch das Grundgesetz geschützt ist.
Israels rechte Regierung möchte solche Debatten unterbinden. Sie betrachtet die internationale Boykottbewegung gegen ihr Land als eine ernste Gefahr, und manche ihrer Anhänger nutzen den Vorwurf des Antisemitismus, um ihrer Gegner zu diffamieren. Da ist inzwischen eine seltsame Querfront entstanden, die israelische Rechte und evangelikale Christen mit deutschen Linken vereint.
Dass die Freie Universität Berlin jetzt eine Dozentin quasi suspendiert, weil sie ihre Meinung zum Nahostkonflikt anstößig findet, ist ein Skandal. Und dass sie die „Antisemitismus“-Vorwürfe, die von obskurer rechter Seite gegen sie erhoben werden, auch noch durch eine wissenschaftliche Untersuchung adeln möchte, kommt fast schon einer Vorverurteilung gleich. Denn offen ist, wer genau diese „Untersuchung“ durchführen soll. Und offen ist auch, wer die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion auswählen soll, die dem Institut zu diesem Fall vorschwebt und die von den Betroffenen nur als eine Art Tribunal empfunden werden kann. Denn es besteht die Gefahr, dass sich die Ankläger hier auch zum Richter aufspielen.
Der Vorgang erscheint ziemlich beispiellos – und wenn man Vergleiche aus der jüngeren Geschichte sucht, dann fallen einem da etwa die Anhörungen vor dem „Komitee für unamerikanische Umtriebe“ in den USA der McCarty-Ära ein. Das ist keine gute Tradition, an die die ihrem Namen nach „Freie Universität“ anknüpft.
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