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Kommentar Anschlag in MoskauUnd jetzt eskaliert die Gewalt

Kommentar von Bernhard Claasen

Blühende Demokratie in Russland ist unvorstellbar, solange nicht der vom Nordkaukasus ausgehenden Gewaltspirale Einhalt geboten wird. Der Krieg hat die Metropolen erreicht.

D er Terror von Domodjedowo dürfte der Startschuss für eine weitere Eskalation der Gewalt in Russland sein. Lange haben Menschenrechtler davor gewarnt, dass sich die Brutalität nicht auf ein kleines Gebiet, den Nordkaukasus, eingrenzen lasse. Eine auch nur annähernd blühende Demokratie in Russland ist nicht vorstellbar, solange nicht der vom Nordkaukasus ausgehenden Gewaltspirale Einhalt geboten wird. Es kann nicht sein, dass im dort Zivilisten von russischen Sicherheitskräften verschleppt und gefoltert werden, radikale Islamisten gleichzeitig ganze Ortschaften terrorisieren und unterdessen der Rest des Landes prosperiert.

Die Gewalt aus dem Nordkaukasus kommt immer mehr auf Russlands Metropolen zu. Noch nie sind im Gebiet Moskau in so kurzem Zeitraum so viele Menschen, ein Dutzend, alle von ihnen Moslems, verschleppt worden, wie in den letzten Monaten.

Doch nicht nur die staatlichen Sicherheitskräfte, auf deren Konto die jüngsten Verschleppungen von Moslems im Raum Moskau gehen dürfte, wenden in den Metropolen an, was sie im Nordkaukasus gelernt haben. Auch der aus dem Nordkaukasus stammende islamistische Widerstand scheint zu einem gewalttätigen Widerstand in den Straßen der russischen Metropolen entschlossen.

"Der Krieg wird in eure Straßen kommen und Ihr werdet ihn direkt in eurem Leben erfahren", drohte Islamistenchef Umarow im Internet.

Auch im Alltag prägt der zunehmende Haß zwischen Russen und Kaukasiern das Zusammenleben. Kaukasier wurden in jüngster Zeit immer mehr in Russlands Städten zum Hassobjekt.

Unvergesslich sind die Bilder von mehreren hundert russischen Jugendlichen, die Mitte Dezember mitten in Moskau Jagd auf Kaukasier machten. Leider ist keine gesellschaftliche Autorität erkennbar, die hier eine Vermittlerrolle übernehmen würde.

Zwar plant die orthodoxe Kirche, in den Auseinandersetzungen zwischen Russen und Nichtrussen eine mäßigende Rolle zu spielen. Zu einem Treffen, bei dem im Dezember überlegt werden sollte, wie sich in dieser angespannten Lage ein interreligiöser Dialog initiieren lasse, waren Vertreter der fremdenfeindlichen "Bewegung gegen illegale Migration", eingeladen worden - aber niemand, der die Kaukasier oder andere moslemisch geprägte Regionen vertreten hätte.

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9 Kommentare

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  • GF
    Gerda Fürch

    Und der leider, leider so jung verstorbene Bernd Eichinger hätte ganz bestimmt als gesellschaftskritischer Filmschaffender, als gesellschaftskritischer Kulturschaffender mit seinem Arbeitsteam zu dem Thema "Eskalation der Gewalt" auch etwas zu sagen und zu thematisieren gehabt.

  • GF
    Gerda Fürch

    Wie wäre es mit "De-eskalations"-Maßnahmen? Führen Rachegelüste wie "Auge um Auge, Zahn und Zahn" oder á la George W. Bush, Junior, mit seiner "Achse der Guten" gegen die "Achse der Bösen" zum Ziel, den internationalen, nationalen und regionalen Terrorismus/diese Selbstmordattentate/diese emotionale Selbstjustiz etc. etc. zu bekämpfen und über diese heimtückischen, hinterhältigen, verbissenen, blutigen, mörderischen Szenarien zu triumphieren?

     

    Da habe ich meine Zweifel. Was aber nicht bedeutet, wenn - angenommen - mich einer in die linke Gesichtshälfte brutal schlägt, da0 ich dann, wenn ich noch kann, auch noch ängstlich, demütig, duldend oder resignierend die rechte Wange zum brutalen Zuschlagen und Zertrümmern hinhalte, zur Verfügung stelle.

     

    Ein Schriftsteller beispielsweise, namens Henning Mankell aus Schweden, der für seine Romane bekanntermaßen viele aktuelle unterschiedliche Themen wählt - auch das Thema "Rache" und "Gewaltanwendung" sowie "Selbstjustiz" - stellt sich jedenfalls eine andere Lösung vor. Er schreibt, daß als einziges Mittel gegen den Terror vielleicht sei: Ausgeprägt starkes Gerechtigkeitsempfinden und die konsequente Rechtsstaatlichkeit!

     

    Was nun?

  • DH
    Den Haag

    Grenzen schaffen zumindest im inneren dauerhaften Frieden.

    Jugoslawien und Somalia beweisen diese Einsicht als jüngste Beispiele.

    Jeder Kultur, wie und durch was auch immer geprägt ihren primären Lebensraum. Nur dann klappt es auch mit dem zurückdrängen des Nationalen.

    Diese zu berücksichtigen ist die Verantwortung der Politik.

    Die Politik aber tut gemeinsam mit Medien das genaue Gegenteil.

    Mein Vorwurf ist das sie genau wissen was sie tuen.

  • GF
    Gerda Fürch

    Das Netz zur "taz" ist scheinbar überlastet. Mein Kommentar zum "Und jetzt eskaliert die Gewalt" ist futsch. Error, Error, Error und noch ein Error. Macht nichts. Ich versuche es später noch einmal, weil ich auch gerne etwas "meinen" möchte. Dann eben etwas später. Die Debatte zum "Eskalieren der Gewalt" ist nicht zu Ende.

     

    Zur "taz-"Abstimmung rechts auf der website. Hier hätte ich bei den zwei ersten Vorschlägen mein "Pünktchen" gemacht, nämlich Truppen sowohl verstärken, Drahtzieher rechtstaalich verhaften als auch und p a r a l l e l dazu eine klare Friedensinitiative anbieten! Das ist meine spontane Reaktion zu dieser Umfrage.

  • G
    gregor

    Ach, wie schön sind diese Kommentare über die Ursachen, wenn man die Täter noch nicht kennt und wahrscheinlich nie kennen lernen wird? Was kostet, aber dieser, der größte russische Flughafen? Und gibt es da nicht Unternehmer, die es an sich reißen wollen? Und würde man dann nicht bei den freien Gewalttat-Unternehmern aus den Sicherheitsdiensten und den Islamistendiensten, so ein Ding bestellen, um auf ein Sicherheistmanagementversagen aufmerksam zu machen und dadurch es zu übernehmen? Wartet nur ab...

  • GF
    Gerda Fürch

    Es eskaliert die Gewalt! Zu dieser Schlagzeile habe ich was zu meinen.

     

    Hier wären auch internationale, wirklich unabhängige SozialforscherInnen/SozialwissenschaftlerInnen (z. B. vom WZB in Berlin) gefragt!

    JournalistInnen beobachten, erfahren, greifen auf, berichten und kommentieren etc. - sind eben auch "nur" Menschen, sind auch erschüttert und aufgeregt. Zur Korrektur oder Kritik an der ersten Berichterstattung gibt es ja die Debatte, der dann weitere Berichterstattungen folgen, manipulierte, gesteuerte, aber auch tiefere, noch investigativere folgen, je nach dem. Meine Überlegung.

     

    Es eskaliert auch, schreibe ich mal so, weil heute im 21. Jahrhundert die Nachrichten blitzschnell um die Welt fließen, nee, zucken! Ja, zucken! Durch die vernetzte globalisierte Welt mit allen verfügbaren elektronischen Mitteln. Die Menschen bekommen gesteuerte und nicht gesteuerte "Vorbilder" dieser und jener Art und nutzen sie für ihre persönlichen, privaten, öffentlichen, politischen, wirtschaftlichen und sonstigen Zwecke und Interessen. Behaupte ich mal so.

  • A
    Andreas

    ...und als TAZ-Journalisten noch komplette, lesbare Sätze zustande gebracht haben...

  • D
    daweed

    In Russland gibts nicht nur im Nordkaukasus Muslime.

     

    Aber wen in Moskau interessiert das wenn man schon jetzt auf den meistgeliebten Feind zeigen kann?

     

    Erinnert mich an Sarrazin...

  • J
    JML

    Was waren das noch für Zeiten, als TAZ-Journalisten nicht schon nach einem halben Tag die offiziellen Zuweisungen zu Täterschaft und Hintergründen übernommen haben.