Kommentar Anschläge im Libanon: Droht ein Bürgerkrieg?
Eine Autobombe tötet fünf Menschen, unter ihnen den sunnitischen Politiker Mohammed Schatah. Dahinter könnte die Hisbollah stecken.
A n den Frühstückstischen und in den Büros und Werkstätten des Libanons stellten sich viele heute Morgen wieder die Frage, die das Land seit Monaten beschäftigt: Rutscht das Land schon wieder in den Bürgerkrieg?
Eine Autobombe im Herzen Beiruts tötete am Morgen fünf Menschen und verletzte mindestens 15 weitere. Eines der Opfer war der bekannte sunnitische Politiker Mohammed Schatah. Ambulanzen rasten durch die Straßen, das Militär patrouilliert an den Kreuzungen. Es sind Szenen, die bei den Menschen Erinnerungen wachrufen, Erinnerungen an den Krieg, der zwischen 1975 und 1991 über 150.000 Menschen das Leben kostete.
Erst vergangenen Monat sprengten sich Selbstmordattentäter vor der iranischen Botschaft in die Luft. 22 Menschen starben. Im Oktober 2012 starb der Chef der Sicherheitspolizei, Wissam al-Hassan, durch eine Autobombe.
Genau wie bei den früheren Anschlägen dauerte es nicht lang, bis es zu Beschuldigungen kam. Mohammed Schatah war Mitglied des Parteienbündnisses 14. März. Die vorwiegend sunnitische Gruppe ist der größte Widersacher der schiitischen Hisbollah. Nach dem Anschlag auf die Botschaft ihres Verbündeten Iran hatte die Hisbollah Rache angekündigt.
Ursprung der Gewalt in Syrien
Jede Bombe wird als Vergeltungsschlag gewertet, und die lautstarken, oft voreiligen Anschuldigungen treiben das Land in einer Spirale der Gewalt, die ihren Ursprung im Nachbarland Syrien hat. Der Bürgerkrieg dort hat sich zu einem Kampf zwischen sunnitischen Extremisten und dem alawitischen Regime von Bashar al-Assad entwickelt. Alawiten sind eine Untergruppe der Schiiten. Erst vor wenigen Tagen schossen Mitglieder der syrischen, al-Qaida-nahen Gruppe Jabhat al-Nusra mehrere Raketen auf Hisbollah-Gebiete im Norden des Libanon. Kurze Zeit später gab Jabhat al-Nusra auf Twitter bekannt, einen libanesischen Arm gegründet zu haben.
Die Grenze zwischen beiden Ländern verwischt zunehmend. Sunnitische Salafisten und Jihadis aus dem Libanon unterstützen den Aufstand gegen Assad. Die Hisbollah hat ebenfalls mehrere tausend Kämpfer entsendet.
In der nordlibanesischen Stadt Tripoli sterben seit Monaten Menschen bei Schießereien zwischen Anhängern und Gegnern Assads. Mehrfach wurden Alawiten aus Bussen gerissen, ihnen in die Beine geschossen.
Unangenehmer Friedhofsfrieden
Trotz allem halten viele Libanesen an dem Mantra fest, dass die Menschen keinen Bürgerkrieg wollen. Sie wissen um die Folgen. Außerdem sei die Hisbollah die stärkste militärische Macht im Land. Keiner könne sich mit ihr anlegen. Das garantiert einen unangenehmen Friedhofsfrieden. Aber immerhin Frieden.
Und tatsächlich braucht die Hisbollah aus strategischen Gründen Ruhe an der Heimatfront. Ihr Eingreifen in Syrien schwächt sie schon jetzt. Käme es zu einer weiteren Auseinandersetzung mit Israel, wäre sie abgelenkt. Einen Krieg im Libanon kann sie sich kaum leisten. Deshalb, so die Logik, wird sie sich weiter ruhig verhalten.
Doch angesichts der Autobomben, des Raketenbeschusses und den Provokationen seitens sunnitischer Salafisten, dreht sich die Spirale der Gewalt weiter. Die Mehrheit im Land will Frieden. Doch eine radikale Minderheit treibt das Land Richtung Krieg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Schwarz-Grün als Option nach der Wahl
Söder, sei still!