Kommentar Ägypten: Konterrevolution in Paragrafenform
Die Verfassungsreform in Ägypten wurde in einem Referendum angenommen. Eine demokratische Abstimmung war sie aber nicht.
M it der Verfassungsänderung in Ägypten bricht nicht nur Machthaber Abdel Fattah al-Sisi sein Versprechen, nicht ewig an der Macht zu bleiben. Auch all jene ÄgypterInnen, die 2013 nach den Generälen riefen und dem Militärputsch gegen die damalige Muslimbrüderregierung pseudodemokratische Legitimität verliehen, können nicht mehr ernsthaft behaupten, dass das Militär nur den Willen des Volkes ausführe, also die Demokratie gegen das damals drohende autoritäre System unter Führung der Islamisten verteidige.
Zwar wurde die Verfassungsänderung in einem Referendum angenommen, von einer demokratischen Abstimmung kann jedoch nicht die Rede sein: Blogs und Websites wurden gesperrt, eine kritische Presse gibt es kaum noch, und Kritiker des Militärregimes werden seit Jahren eingeschüchtert. Die Gegner der Verfassungsänderung hatten kaum Möglichkeiten, für ein Nein zu mobilisieren.
Dabei hätten sie gute Argumente gehabt. Denn die Verfassungsänderung eliminiert die letzten demokratischen Errungenschaften der Revolution von 2011. Sie gießt den Militärputsch von 2013, der dem demokratischen Experiment ein vorzeitiges Ende bereitete, nun in den Verfassungstext.
Nicht nur kann al-Sisi jetzt bis 2030 durchregieren. Mehrere geänderte Artikel schränken darüber hinaus die Unabhängigkeit der Justiz erheblich ein. Auch wird dem Militär ganz offiziell eine Rolle in der Politik zugesprochen, indem Artikel 200 die Streitkräfte nicht mehr nur für die Sicherheit verantwortlich macht, sondern dafür, „Verfassung und Demokratie“ sowie die „zivile Natur“ des Staates zu schützen. Ein künftiges Einschreiten des Militärs könnte damit im Rahmen der Verfassung stattfinden.
Damit schreibt die Verfassungsänderung den Autoritarismus mit demokratischer Fassade fort, mit dem auch Sisis Vorgänger Husni Mubarak jahrzehntelang regierte. Das Volk wird regelmäßig an die Urnen gerufen, während Oppositionelle mundtot gemacht werden, ohne sich juristisch wehren zu können. Der Rest des Volkes darf dann seine Zustimmung geben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Zwei Todesopfer nach Anschlag in München
Schwer verletzte Mutter und Kind gestorben