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Kommentar Abschiebungen SchweizSieg der Zivilgesellschaft

Andreas Zumach
Kommentar von Andreas Zumach

Das Engagement gegen die Abschiebereform war groß, es nahmen wieder mehr Wähler an der Abstimmung teil. Das lässt auf eine Trendwende hoffen.

Das Engagement hat sich gelohnt: Die Abstimmung gegen die Abschiebungen ist gewonnen Foto: dpa

D as deutliche Nein der Eidgenossen gegen den rassistischen, menschenrechtsfeindlichen und völkerrechtswidrigen Versuch der größten Partei des Landes, dem ausländischen Viertel der Schweizer Wohnbevölkerung die verfassungsgemäßen Grundrechte zu nehmen, ist eine schwere Schlappe für die bislang erfolgsverwöhnte Demagogentruppe der SVP.

Insbesondere für ihren langjährigen Chefstrategen und Hauptfinanzier Christoph Blocher und seinen politischen Ziehsohn und medialen Hauptpropagandisten, Weltwoche-Verleger Roger Köppel. Umfragen sagten den beiden Erfindern der irreführend und verharmlosend sogenannten Durchsetzungsinitiative noch im November eine 60-Prozent-Mehrheit für den gestrigen Abstimmungstag voraus.

Nach den Berichten und Bildern aus der Kölner Silvesternacht, die die SVP mit perfider Demagogie für ihre Schmutz- und Angstkampagne gegen „kriminelle Ausländer“ nutzte, schien ihr Sieg endgültig gesichert. Doch dann kam die Wende. Viele Tausende SchweizerInnen krempelten die Ärmel hoch und engagierten sich in einer zivilgesellschaftlichen Kampagne der Anständigen gegen die Pläne der SVP.

Sie mobilisierten gestern viele derjenigen Bürger an die Urne, die zu den vergangenen drei Volksinitiativen der SVP zum Verbot von Minaretten, zur Abschiebung krimineller Ausländer und zur „Begrenzung der Masseneinwanderung“ noch geschwiegen und an der Abstimmung nicht teilgenommen hatten. Damit ermöglichten sie die jeweils sehr knappe Mehrheit für die SVP.

Das Ergebnis von Sonntag lässt auf eine Trendwende in der Schweiz hoffen. Darauf, dass auch die bereits geplanten weiteren Anschläge des Duos Blocher/Köppel auf Demokratie, Verfassung und Völkerrecht wie die erneute Verschärfung des Asylrechts und die grundsätzliche Ablehnung von Urteilen europäischer Gerichte zu „Schweizer Angelegenheiten“ vom Volk abgelehnt werden.

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Andreas Zumach
Autor
Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.
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6 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ich weiss nicht, ob hier von einer Trendwende gesprochen werden kann. Die Forderungen waren sehr radikal (Ausweisung bereits bei kleinsten Vergehen, beispielsweise im Straßenverkehr), dass es umso bezeichnender ist, dass 40 Prozent der Wähler dem zustimmten.

    Ich behaupte, dass eine weniger radikal formulierte Forderung durchaus hätte von Erfolg gekrönt sein können. Die gesellschaftlichen Verwerfungen jedenfalls treten deutlichst zutage.

    Für das Anliegen der SWP mag das Ergebnis somit ein Mißerfolg gewesen sein, aber 40 Prozent sind und bleiben ein beachtliches Votum - und notwendigerweise ein denkbar schlechter Beleg für eine vermeintliche "Trendwende".

    Der Autor sollte sich vielleicht nicht zu sehr in den Feierlichkeiten dieses Phyrrussieg verlieren, denn das Erwachen könnte durch einen sehr dicken Kater begleitet werden ...

  • Bützli vielmals ;-)

  • 'mobilisierten gestern' stimmt natürlich so nicht. Die Gegenkampagne wurde Mitte Dezember bereits eingeläutet und wuchs langsam aber sicher durch den Januar bis sie im Februar quasi flächendeckend durch die ganze Schweiz ging. Auf den sozialen Medien war sie omnipräsent und eine Vielzahl von Organisationen sowie alle Parteien ausser der SVP stemmten gegen die ausländerfeindliche Initiative. So etwas hatte man in der Schweiz seit mindestens 20 Jahren nicht mehr gesehen.

    Aber das zeigt auch wie schwer und mühsam es ist, wenn diese einzelne Partei trotzdem noch 40% für die Initiative erringen konnten. Bleibt zu hoffen, dass der Schwung anhält und die nächsten bevorstehenden SVP-Initiativen ebenfalls abgebügelt werden. Die radikal-nationalistische Partei hat in den letzten Jahrzehnten viel Schaden in den Köpfen angerichtet, von einer Trendwende zu sprechen wäre sicher verfrüht.

    • @bouleazero:

      "Die radikal-nationalistische Partei hat in den letzten Jahrzehnten viel Schaden in den Köpfen angerichtet"

      Diese Sicht finde ich immer wieder ermüdend, denn sie impliziert, dass die Menschen zu blöde/unmündig seien, um selbstbestimmt Entscheidungen treffen zu können. Nur weil sie aus der Eigenwahrnehmung heraus "falsch" wählten, bedeutet es nicht zwangsläufig, dass sie manipuliert, indoktriniert oder verhetzt worden wären. Vielmehr bedeutet es, dass sie subjektive wie objektive Wirklichkeiten/Erfahrungen und Aussagen auf Plausibilität prüfen und dementsprechende Entscheidungen treffen.

      Wenn diese Entscheidungen zugunsten SVP usw. ausfallen, heisst dies nur, dass geäußerte Argumente/Forderungen schlüssiger mit Erfahrungen/Wahrnehmungen zusammenpassen, als dies bei anderen der Fall ist. Im Klartext: Die SVP hat "keinen Schaden in den Köpfen angerichtet" - die anderen dringen stattdessen nicht mehr mit ihren Argumenten durch, da diese als unstimmig, nicht passend oder schlicht nicht der gemachten Wahrnehmung/Erfahrung entsprechend bewertet werden.

      Oder anders: Man sollte sich hüten den Boten für die unliebsame Botschaft verantwortlich zu machen und sich den Luxus der Unfehlbarkeit zu gönnen. Es könnte ansonsten sein, dass das eigene Wort nur noch als "so sollen sie halt Kuchen essen" verstanden wird, während über zuneige gehendes Brot geklagt wird ...

      • @Frank Reich:

        Da sprechen Sie ein ziemliches Problem an, vereehrter FRANK REICH. Keine Kampagne dieser Welt, und sei sie noch so intensiv geführt, kann "Trendwende[n]" herbeiführen, wenn die propagierten Argumente bzw. Forderungen nicht mit den selbstgemachten Erfahrungen bzw. Wahrnehmungen zusammenpassen. Allerdings ist es noch immer eine schwierige und nicht sehr weit verbreitete Kunst, die eigenen Wahrnehmungen korrekt zu interpretieren und die selbst gemachten Erfahrungen richtig in einen Gesamtkontext einzuordnen. Ich hoffe, da geben Sie mir recht.

         

        Schön wär' es ja, wenn "die Bürger" nicht immer wieder "zu blöde/unmündig" wären, um selbstbestimmt angemessen Entscheidungen zu treffen. Leider wird an dieser Fähigkeit noch intensiv gearbeitet werden müssen, auch in der Schweiz. Und wenn ich mir so anschaue, was derzeit mancherorts die Hauptzielstellung in Bildung und Erziehung ist, kann ich nur hoffen, dass die 60% nicht demnächst wieder drastisch schrumpfen.

         

        Dass jemand "aus der Eigenwahrnehmung heraus 'falsch' wählt[]", bedeutet "nicht zwangsläufig, dass [er] manipuliert, indoktriniert oder verhetzt worden wäre[]". Es ist allerdings auch nicht der ultimative Beweis fürs Gegenteil. Recht gebe ich ihnen immerhin in soweit, als auch ich der Ansicht bin, die SVP hätte unmöglich so viel "Schaden in den Köpfen an[]richte[n]" können wie sie vermutlich bereits angerichtet hat, denn "die Anderen" mit ihren Argumenten besser gezielt hätten - und weniger gelogen. Selbstverliebtheit ist halt kein guter Ratgeber, wenn es darum geht herauszufinden, was andere "als unstimmig, nicht passend oder schlicht nicht der gemachten Wahrnehmung/Erfahrung entsprechend bewerte[n] werden".

  • "mobilisierten gestern"? Wie? In den Wochen, mindestens Südlich des Rheins stimmen die Stimmberechtigten in den Wochen jeden dritten Monats ab. Über Angelegenheiten der Gemeinde, des Kantons, des Bundes und auch internationale.