Kolumne: Kinder raus aus dem Olymp
Ab 2010 soll es auch Olympische Spiele für 14- bis 18-Jährige geben. Warum schon die Idee unerträglich ist
Das Jahr ist noch nicht vorbei und schon ist das Sportfoto des Jahres 2007 geschossen. Von der Agentur Reuters. Anfang Juli. Es ist ein tolles Bild. Ein Bild mit wahrhaft großer Symbolik.
Dieter Baumann (42) ist mehrfacher Olympiasieger in verschiedenen Laufdisziplinen, arbeitet als Motivationstrainer und Autor. Er träumt davon, ein "Lebensläufer" zu sein, für den der Weg immer wichtiger bleibt als das Ziel.
Es zeigt einen alten Mann bei der 119. Session des IOC in Guatemala. Einen sehr alten Mann. Sein Anzug flattert am dürren Körper. Die Wangen des Greises sind eingefallen. Die Haut im Gesicht wirkt transparent, das lichte Haar ist grau. Sein Körper ist nach vorne gebeugt. Langsam schlurft er, gestützt auf einen Stock, an einem großen IOC-Plakat vorbei. Er zieht einen kleinen Koffer hinter sich her. Doch selbst dieses leichte Gepäck wirkt für den alten Mann zu schwer. Um den Hals hängt an einer Schnur seine Akkreditierung. Das ist ein untrügliches Zeichen der Macht, er gehört dazu: zum Club des Olymp.
Mit großem Respekt vor all den Göttern, aber bei ihm wirkt diese Karte wie ein Witz. Ein solcher Mann soll verantwortlich sein für die sportliche Jugend der Welt? Und doch, gerade dafür halten sich diese Männer. Bei ihrer letzten Sitzung haben sie eine bahnbrechende Entscheidung getroffen. Ab 2010 soll es die ersten Olympischen Spiele für 14- bis 18-Jährige geben. Da kann ich nur noch gratulieren und allenfalls spekulieren, was die Herren geritten haben mag. Der Gedanke an noch mehr Werbeeinnahmen und Fernsehgelder? Vielleicht gar der fromme Wunsch, dass die Enkel auch einmal in den Genuss einer Teilnahme kommen sollten? Beides scheint nicht ganz abwegig.
Vier Teilnehmer pro Land sollen es werden, so viel scheint festzustehen. Vier Teilnehmer aus Burundi also, bei diesem Gedanken malte sich der IOC-Mann aus dem afrikanischen Staat einen familieninternen Wettlauf zur Nominierung aus. Denselben Gedankengang hatte der Mann aus Mali, aus der Mongolei, aus Indonesien. Die Liste ist lang, und nur ein Tor glaubt daran, dass das Auswahlverfahren in jenen Ländern einem bestimmten Modus oder gar einer gerechten Leistungsorientierung entsprechen könnte. Dies ist aber nur ein erstes Problem. Und wahrscheinlich ist es in einem Club, der schon schlimmere Korruptionsaffären überstanden hat, nur ein sehr kleines.
Das zweite Problem ist die offensichtliche Unkenntnis, fast wäre ich geneigt zu sagen die absolute Inkompetenz, der hohen Herren des Olymp in Sachen Training. Einem nicht ganz unwichtigen Thema einer Sportorganisation, wie ich finde. Die Entwicklung von jungen Athleten ist stark davon abhängig, wie und wann welche Trainingsinhalte trainiert werden. Ein Stabhochspringer, ein Sprinter oder Läufer - auf jede andere Sportart lässt sich dies ohne Probleme übertragen - durchläuft beim Heranwachsen verschiedene Entwicklungsphasen.
Beim Training von 10-Jährigen gibt es kaum Unterschiede in den Disziplinen. Alle trainieren alles. Das Sprinten, das Werfen, das Springen und das Laufen. Das ist gut so, man nennt es sportliche Grundausbildung. Zur Vorbereitung auf die Kinderspiele werden nun die Jungen mit unglaublichen Trainingsumfängen und frühen Spezialisierungen hochgeputscht. Kaum einer von ihnen wird daher bis in den Erwachsenensport kommen. Trainingswissenschaftlich gibt es also keine Argumente für diese neue Event-Idee. Von Erziehung ist die Rede, von Werten und Idealen des Sports und der Festigung gegen Doping. Damit wären wir beim größten Problem.
Wie dünn das Eis beim Thema Manipulation in dem undemokratischen Gebilde Sport mit all den Abhängigkeiten ist, mag man gerade in Bezug auf Kinder gar nicht zu Ende denken. Insgeheim hoffe ich, dass irgendwo noch ein Vernünftiger aufsteht und dem Spuk ein Ende setzt. Wie leicht erwachsene Athleten in dieser Leistungsspirale zu allem bereit sind, können wir in diesen Tagen fast wöchentlich nachlesen. Wie leicht wird es dann bei Kindern und Jugendlichen sein, sie zu beeinflussen? Dieser Gedanke ist fast unerträglich. Wenn man später das Sportfoto des Jahres 2007 betrachten wird, ein alter IOC-Mann nach geschichtsträchtiger Entscheidung, weiß man: Das war der Anfang vom Ende.
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