Kolumne Zumutung: Wir können uns alles erlauben
Wenn die Tochter in ihre eigene Wohnung zieht, macht es noch glücklicher, sich mit ihr zu zoffen. Heftiger Streit ist nichts als pure Liebe.
K ürzlich war es mal wieder so weit. Endlich! Die Einssechzigblondine und ich hatten Streit. Wenn auch leider nur kurz. Wir waren mit Freunden bei einem Basketballspiel, und ich bestand darauf, statt neben ihr neben ihrem Vater zu sitzen. Für eine Spielregel-Legasthenikerin wie mich ist es unabdingbar, neben einem Experten zu sitzen, der nicht nur alles über Basketball weiß, sondern auch bereit ist, dieses Wissen zu vermitteln. Hätte ich statt seiner meine Tochter gebeten, mir zu erklären, warum dieser Korb jetzt einen, jener jedoch drei Punkte einträgt, hätte sie sich spätestens nach der vierten Frage jede weitere Ansprache verbeten.
Mein Begehr, also unsere Plätze zu tauschen, empfand die Einssechzigblondine offensichtlich als Zumutung – anders war ihr supergenervter Gesichtsausdruck kaum zu interpretieren. Sie zog die Augenbrauen hoch und schürzte ihre kirschroten Lippen: Was ich mir einbilde, blaffte sie mich an. Bloß weil ich schon voll alt sei, hätte ich noch längst keine Sonderrechte, was die Sitzordnung anbelangt.
Ich zwang sie mit meinem Todesblick, auf der Stelle den Platz mit mir zu tauschen. Hernach kniff ich sie ganz aufgeregt in die Seite. „Hach, das fehlt mir richtig, dass du mich hin und wieder ein bisschen anmaulst.“ Statt zu antworten, legte sie lächelnd den Kopf auf meine Schulter.
Ja, so kann es kommen, wenn Mutter und Tochter zwei Jahrzehnte lang ein eingespieltes Team waren, was Streit und Zank anbelangt. Und wenn sie plötzlich auf Entzug sind. Schließlich sind nur sehr wenige Menschen bereit, sich, zack!, mal ein bisschen rundmachen zu lassen.
Seit die Einssechzigblondine vor Jahresfrist von zu Hause ausgezogen ist, sind wir beide diesbezüglich auf Entzug. Sie wohnt jetzt in der großen Stadt und lebt in geregelten Verhältnissen. Jedenfalls stelle ich mir das so vor – ihren Facebook-Account hat sie so hinmanipuliert, dass ich zwar in ihrer Freunde-Liste verzeichnet bin, aber vermutlich weniger sehen kann als ihre ehemalige Grundschulfreundin.
Ungute Routine zwischenmenschlicher Scharmützel
Bevor sie damals auszog, hatten wir eine ungute Routine erreicht, was unsere zwischenmenschlichen Scharmützel anbelangte. Da flogen Türen, und es wurde auch schon mal richtig laut. Der Vater stand in diesen Privatgewittern und schüttelte nur den Kopf: Wie konnten zwei Menschen, die sich doch ganz offensichtlich heiß und innig liebten, sich nur dermaßen das Leben schwermachen?
Ich habe dazu eine Theorie. Ein argumentatives Trostpflaster, das ich immer dann aufgelegt habe, wenn ich darüber nachsann, warum Eltern sich an besonders schlimmen Tagen von ihren widerborstigen Kindern nicht scheiden lassen dürfen. Die Theorie lautet: Streit ist Vertrauen.
Im Ernst, wer so anmaßend und übergriffig wird, wer seine miese Laune den Erziehungsberechtigten direkt vor die Schuhe kotzt und es wagt, Türen mit Glaseinsätzen hart ins Schloss zu knallen – diese Person weiß, dass ihr nicht wirklich etwas passieren kann. Dass diese Eltern, diese restriktiven Pädagogikfetischisten, sie letztlich doch weiterlieben. Und deshalb: Blaff mich ruhig an, Einssechzigblondine! Mich wirst du nie los.
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