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Kolumne Wir retten die WeltRolletarier, vereinigt euch!

Bernhard Pötter
Kolumne
von Bernhard Pötter

Der Kampf um die Straße zwischen Auto und Rad eskaliert. Gut so. Wenn Richtiges eine Chance haben soll, muss Falsches weichen.

Keine Illusion: Die Revolution fährt Zweirad Foto: dpa

A ls Kind war ich großer Western-Fan, begeistert von Winnetou und Old Shatterhand und „Spiel mir das Lied vom Tod“. Nur die Selbstjustiz passte mir nicht. Die Maximen „Indianer einfach abknallen“, „Wer schneller zieht, hat Recht“ und „Pferdediebe einfach an den nächsten Baum hängen“ kamen mir doch sehr barbarisch vor.

Bis zum 15. April. Da kam ich vor die Tür und mein Fahrrad war verschwunden. Einfach so. Mein schönes, sonnengelbes taz-Dienstrad, zwei Jahre alt, geklaut trotz eines guten Metall-Faltschlosses. Ohne meinen treuen Drahtesel fühlte ich mich nackt und verloren im Wilden Westen von Berlin. Hätte ich den Dieb gehabt, ein Seil und einen Baum, wer weiß.

„Verkehrspolitisch ein gutes Zeichen“, sagte mein Freund L. „Fahrräder werden in den Metropolen so wichtig, dass sie in großem Stil gestohlen werden.“ Ist die Herrschaft der Bike-Mafia also das Opfer, das wir alle für die Verkehrswende bringen müssen?

Wenn die Mafia den nachhaltigen Verkehr sabotiert

Jedenfalls kümmert es niemanden, wenn Räder geklaut werden: Die Polizei hat eine eigene „Internetwache“, wo man den Diebstahl meldet. Vier Wochen später kommt ein Standardbrief, das Verfahren sei eingestellt. Nur die Versicherung lässt sich Zeit mit der Erstattung des Schadens. Schon interessant, wie wenig Aufregung herrscht, wenn das organisierte Verbrechen den nachhaltigen Verkehr sabotiert.

Dabei ist die Straße derzeit das heißeste Schlachtfeld im Kampf um eine bessere Zukunft. Den Diesel-Stinkern geht es mit Fahrverboten an den Auspuff, Falschparker auf der Radspur sollen schneller abgeschleppt werden, immer mehr Städte wollen Radwege auf der Fahrbahn statt auf dem Gehweg. Der Konflikt zwischen Zwei- und Vierrädern eskaliert. Das ist furchtbar, denn das Leben auf der Überholspur fordert viele Tote und Verletzte, und oft sind Radler und Fußgänger die Opfer.

Aber der Straßenkampf ist wichtig. Denn im Verkehr passiert etwas, das andernorts nicht funktioniert: Wenn das Bessere, Saubere, Grüne wachsen soll, muss das Schlechtere, Dreckige, Schwarze verschwinden. Was die Radler gewinnen, muss man den Autofahrern wegnehmen. Das sorgt für böses Blut bei denen, die ihre Freiheit in PS berechnen. Aber es ist der richtige Weg.

Fahrwege sind ein knapper Rohstoff und umkämpft

Anderswo stellen uns Politik und Industrie nämlich gern mit Augenwischereien wie vermeintlichen „win-win“-Optionen ruhig: Man könne das Richtige fördern, ohne dem Falschen weh zu tun. Aber das ist Quatsch: Mehr Ökostrom heißt nicht, dass die Kohle verschwindet. Mehr Ökobauern führen nicht dazu, dass die Agrarindustrie weniger Gift spritzt. Mehr Recyclingtonnen im Hof bringen uns nicht weniger Plastikmüll. Und mehr ethische Geldanlagen bremsen nicht den Turbo-Kapitalismus. Im Gegenteil: Die Ökovariante des Falschen führt immer noch zu immer mehr Wachstum und mehr Problemen.

Das ist auf der Straße anders. Zumindest in den Städten sind Fahrwege eine sehr knappe Ressource. Jeder Fahrradstreifen nimmt den Autos eine halbe Spur. Denn Räder gehören auf die Straße, nicht auf den Geh-Radweg, wo sie um Omas Lumpi und Papas Kinderwagen herumkurven müssen. Amokradler auf dem Bürgersteig sind genauso asozial wie PS-Raser in der 30er-Zone. Denn während der Autofahrer der natürliche Fressfeind des Radlers ist, sind Fußgänger seine geborenen Verbündeten für saubere Luft, ruhigen Verkehr und eine lebenswerte Stadt.

In Berlin werden wir das am Wochenende wieder demonstrieren. Bei der traditionellen Sternfahrt des Radclubs ADFC legen 100.000 RadlerInnen die Stadt lahm. Oder besser: Sie machen sie mobil. Das wird wieder lustig, denn die Rettung der Welt muss Spaß machen. Es wird politisch, wenn wir uns die Stadt von den Verbrennungsmotoren zurückholen. Und es wird ein Vorbild für die anderen Bereiche, in denen eine Revolution nötig ist, sich aber viele noch mit halbgaren Reformen abspeisen lassen. Wir Rolletarier jedenfalls haben, wie es schon Karl Marx so schön formulierte, nichts zu verlieren außer unsere Ketten.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Die Diebe haben das Rad doch aus Habgier geklaut. Wenn man daraus den geistigen Bogen zum Freistellen von Verkehrsraum für Radfahrer oder Autofahrer schlägt, so ist das doch eine Verballhornung des Themas. Traurig für den Besitzer des 'schönen gelben' Fahrrades - aber mit dem Thema hat es nichts zu tun.

  • Echt jetzt? Besser, sauber = grün, schlecht, dreckig = schwarz

    Kann man denn so einen Artikel nicht mal ohne Werbung und Zeigefinger schreiben?

  • Pech gehabt: Wenn die Entwicklungen in Bezug auf Passagierdrohnen und Tunnelbau so weiter gehen wie bisher, wird sich auch hier bald kein Nullsummenspiel mehr finden lassen, um die Ablehnung des Individuums als Fortschritt zu verkaufen.

  • "Wir retten die Welt"

     

    Auch wenn ich seit Jahrzehnten unfallfrei den PKW-Schein besitze: Wenn das Grüne und das Bessere wachsen und gewinnen soll, muss das Dreckige und das (politisch) Schwarze verschwinden!

     

    Noch in guter Erinnerung:

     

    Die Familie meines Kollegen: Mutter, Vater und Sohn. Sie wohnten gemeinsam in Berlin und hatten auch in Berlin ihren Arbeitsplatz. Jeder fuhr morgens mit dem eigenen PKW zur Arbeit und abends mit dem eigenen PKW wieder nach Hause. Jeder Familienangehörige konnte auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln sein Ziel in Berlin erreichen, wenn er es nur wollte. Während der Arbeitszeit wurde der PKW kaum beruflich genutzt und stand vor allem auf dem Parkplatz herum.

     

    Weitere Kollegen: Vater und Sohn. Beide hatten als Handwerker den gleichen Wohnort und Arbeitsplatz und fuhren trotzdem jeweils mit den eigenen PKW zum Arbeitsplatz. Mit gelegentlichen Abweichungen vom Fahrziel lässt sich dieser Unfug wohl kaum erklären. Wie ich von einer Bekannten des Sohnes erfuhr, würde der korpulente Vater sogar mit seiner Limousine am Wochenende bei der nahen Bäckerei die Brötchen fürs Frühstück besorgen. Nur wenige Minuten Fußweg vom gemeinsamen Wohnort entfernt.

     

    Ein TV-Bericht: Eine wohlhabende Hausfrau verfügte über einen großen SUV Allrad. Das Treibstoff fressende Fahrzeug benutzte sie vor allem für ihre Einkäufe in der Stadt - und keineswegs als Geländefahrzeug. Ob sie damit auch ihre hochpreisigen Lebensmittel aus dem Biomarkt besorgte, das ging aus dem TV-Bericht nicht hervor. // In diesem Zusammenhang sollte man sich auch nur die Damen (und Herren?) mit ihren Fahrzeugen vor den Bio-Märkten ansehen, wenn sie mit gesunden und teuren Nahrungsmitteln ihre PKWs beladen (siehe hier beispielsweise doch auch nur am Berliner Mehringdamm).

     

    PS: Es sind doch vor allem die Wohlhabenden, die sich auch verbal für Umweltschutz einsetzen, wenn es sie persönlich nichts von ihrem Wohlstand und Bio-Konsum kostet.

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @Reinhold Schramm:

      "Es sind doch vor allem die Wohlhabenden, die sich auch verbal für Umweltschutz einsetzen, wenn es sie persönlich nichts von ihrem Wohlstand und Bio-Konsum kostet."

       

      Die Wohlhabenden haben ja auch mehr damit zu tun, ihre "Untaten" sich selbst gegenüber zu verschleiern.

       

      Andererseits: Sie schreiben ja selbst von überflüssigerweise autofahrenden Handwerkern, die man ja gemeinhin nicht mit Wohlstand verbindet und weiteren Menschen, die offensichtlich zu wenig motiviert sind, auf das Auto zu verzichten, obwohl sie könnten.

       

      Da hilft also offenbar die Fokussierung auf die Wohlständigen wenig, sondern allenfalls darauf, dass man etwas dafür tut, sie anders zu motivieren.

       

      Wer von der Beschränkung des Automobils und des Konsums nicht reden will, sollte generell zur Umwelt schweigen.

      • @849 (Profil gelöscht):

        ***-): "Wer von der Beschränkung des Automobils und des Konsums nicht reden will, sollte generell zur Umwelt schweigen."

         

        Es gibt auch Erben und Handwerksmeister die zu den Wohlhabenden in der Gesellschaft gehören.

        • @Reinhold Schramm:

          Man kann dieses Gerede vom Luxus Umweltschutz allmählich nicht mehr hören.

          Weltweit leiden Milliarden von Menschen bitterlich unter den Folgen unseres luxuriösen Lebensstils. Und das sind meistens die Armen.

          Nicht Umweltschutz ist Luxus, sondern Luxus der Extraklasse ist es auf Kosten eines Großteils der Menschen seinen maßlosen Konsumgelüsten nachzugehen und dafür nicht bezahlen zu müssen.

          Man muß schon sehr borniert sein diesen Sachverhalt zu verdrehen und Umweltschutz als Hirngespinst der Reichen darzustellen. Solche Menschen haben das System Erde nicht im geringsten verstanden.

  • "Wenn Richtiges eine Chance haben soll, muss Falsches weichen."

     

    Auch wenn der Gedanke richtig ist, sollte man auf die Sprache achten. Klarer Sozialdarwinismus. Damit kann man auch mehr Land für die Richtigen fordern. Daher muss man fragen, was das Richtige ist und wer es festlegt, bevor man jede Eskalation begrüßt.

     

    Zur Zeit sieht es so aus, als ob man trotz wissenschaftlicher Argumentation, geschätzte 40 Mio Autofahrten pro Tag auch eine gesellschaftliche Argumentation für das was als Richtig empfunden wird, sehen könnte.

    • @fly:

      Ich begreife den Satz als rhetorischen Topos, der als Argument durchaus legitim ist.

      Kommt (ähnlich) auch in anderen Zusammenhängen vor, zb. im Rechtsbewährungsprinzip: "Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen."

       

      Den Vorwurf des Sozialdarwinismus verstehe ich nicht.

      Selbstverständlich muss dann auch noch darüber geredet werden, was richtig und falsch ist, aber in einer Kolumne muss nicht jeder common sense neu begründet werden.

  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    Das weltverbesserische Selbstbild uneingeschränkt im moralischen Recht und zu keinen Kompromissen bereit zu sein, kommt mir doch reichlich verdächtig vor... daraus ist noch nie etwas Gutes erwachsen...

  • Und das zum 200. Jahrestag von Karl Marx... it’s the economy!

     

    Nicht das schlechte weicht dem guten, sondern das für die Praktikantenhauptstadt Berlin zu teure weicht dem gerade noch bezahlbaren. Gibt’s wider Erwarten mal mehr Geld, gibt es auch wieder mehr Autos.