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Kolumne Über Ball und die WeltElf Sänger sollt ihr sein

Länderspielwoche heißt Hymnenwoche. Und immer noch wird gefordert, dass die DFB-Elf mitsingt wie ein Männergesangverein.

Großer Spieler, aber kein Sänger: Mesut Özil Foto: dpa

Diego Tardelli ist ein italienischer Profi, der in China kickt. Jüngst wurde er für ein Spiel gesperrt, weil er sich mit der Hand über die Wange, dann über den Mund gewischt hat – während die Hymne vor einem Ligaspiel lief. Einen „schlechten sozialen Einfluss“ übe seine Hand aus, urteilte der chinesische Verband. Bei einer Hymne kann viel passieren! Erinnert sei an das „Brüh im Lichte dieses Glückes“ zur Einweihung der Münchner Allianz-Arena 2005, gesungen von Sarah Connor, die übrigens eine Beinah-Schwägerin von Mesut Özil ist.

Das Hissen von Flaggen symbolisiert Herrschaft, haben Kulturwissenschaftler nachgewiesen: Nicht nur da, wo der Eroberer den Fahnenstiel reingerammt hat, sondern in jeder Richtung, in die das Textil flattert, soll das neue Regime seine Macht ausüben. Und die Hymne? Sie symbolisiert noch mehr: Sie macht musikalisch klar, wer das Sagen hat. Und sie stellt eine Einheit der Singenden her.

Beides haben die Apologeten der DFB-Hymnenpflicht im Sinn, wenn sie von Profikickern das textsichere Mitträllern verlangen. Jüngst forderte Cacau diesen Unsinn. „Für mich persönlich gehört es dazu, dass man als Nationalspieler die Nationalhymne mitsingt“, sagt der frühere deutsche Nationalspieler, der derzeit als DFB-Integrationsbeauftragter glaubt, sich mit solchen integrationsfördernden Vorschlägen zu Wort melden zu müssen.

Der Erste, der in jüngerer Zeit von den Auswahlspielern das Singen der Hymne abverlangte, war 1984 Franz Beckenbauer. Bereits nach dem ersten Spiel, eine 1:3-Niederlage gegen Argentinien, hatte Beckenbauer analysiert, woran der deutsche Fußball krankte. „Schon da waren die Argentinier besser“, musste der Kaiser beim Antreten vor dem Spiel registrieren. „Der eine bohrt in der Nase, der nächste kaut Kaugummi und ein anderer schaut in der Gegend herum.“

Der damalige DFB-Präsident Hermann Neuberger, der NS-Größe und Neonazi-Ikone Hans-Ulrich Rudel 1978 als Motivationstrainer der Nationalelf einsetzen wollte, assistierte seinem Angestellten: „Wir müssen das Ansehen der Nationalelf in der Öffentlichkeit verbessern.“ Vor seinem zweiten Spiel als Teamchef verteilte Beckenbauer Zettel mit dem Text der dritten Strophe des Deutschlandliedes und baute Singen ins Training ein. Er hat halt Standards geübt.

Warum wird die Hymne gesungen? Weil sie stark macht, sagen die Anhänger des nationalen Liedgutes. Die Nachfrage, warum sie dann das eher schwächere „Einigkeit und Recht und Freiheit“ trällern, statt kräftig „Über alles“ zu schmettern, müssen sich die Freunde der deutschen Nation und ihres Fußballs aber gefallen lassen. Immerhin ist der Männergesangverein ein echter Unique Selling Point hiesiger Kultur. Punkt für Deutschland.

Vielleicht hilft es dem Fußball ja, mal den Blick auf andere Sportarten wie das Boxen zu richten. Gerade in dieser durchkapitalisierten Sportart wird bei Titelkämpfen nicht nur die Hymne für jeden Boxer gespielt, sondern auch für den Ringrichter. Das hieße beim DFB-Pokalfinale, dass das Deutschlandlied dreimal gespielt würde: Für Finalist A, für Finalist B und für den Schiedsrichter. Und wenn schon dreimal, dann können es ja auch gleich alle drei Strophen sein.

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7 Kommentare

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  • Es ist der sachlichen Debatte nicht wirklich förderlich, dem Gegenüber gleich Übertreibung und Tabubruch nahezulegen. Die deutsche Nationalhymne hat einen klar definierten Text, und der ist die dritte Strophe des Fallersleben-Gedichts "Lied der Deutschen" - NUR die dritte Strophe. Es ist billige Polemik, hier die erste ins Spiel zu bringen. Die will niemand beim DFB.

    Natürlich könnte man eine eigene DFB-Hymne dichten ("Gut gekickt auch in Ruinen und dem Trainer zugewandt..." o. ä.) und die stattdessen singen. Aber warum sollten die Deutschen da eine - nationale - Extrawurst braten, wenn doch alle anderen Auswahlmannschaften auch die Hymne ihres Landes abspielen lassen (sogar die, bei denen es nichts mitzusingen gibt)?

    Dass das gemeinsame Singen an sich in der Regel Gemeinschaftsgefühl und Entschlossenheit stärkt, sollte jedenfalls nicht groß diskutiert werden müssen.

  • Zitat: „Wir müssen das Ansehen der Nationalelf in der Öffentlichkeit verbessern.“

    Aha. Und wenn dem Ansehen schon nicht durch ein ordentliches Spiel und einen haushohen, verdienten Sieg auf die Sprünge zu helfen ist, muss eben die Hymne herhalten. Als ultima ratio quasi. Weil die angeblich „stark macht“ und motiviert. Wer‘s glaubt, der kann selig werden. Und zwar, indem er AfD wählt. Wenn vielleicht auch nur vorübergehend.

  • Der Autor möge sich mal zu einer Gruppe Menschen gesellen, die ein Lied anstimmen, und einfach mitmachen. Dann wird er auch den Sinn und die positive Wirkung dieses Handelns verstehen und erleben. Und bezogen auf den Fussball, wäre dieses Sinnerlebnis dann tausendfach verstärkt.

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @Lara Crofti:

      ...die Spanier können ihre Hymne nicht gemeinsam mitsingen, sie hat nämlich keine Text.



      Die Spanier wurden trotzdem Weltmeister (2010) , Europameister (2008, 2012).

  • Zu Franz Beckenbauer!



    Am bayerischen Wesen wird Deutschland genesen?

    Ehemalige bayerische Größen: Herr Himmler und Herr Göring

  • Oiweh. Das ist alles, was Herrn Krauss zum Singen der Nationalhymne einfällt? Na servus dankschön!

    Ich zitiere mal aus meinem Post zum letzten Artikel zu diesem Thema: Ich finde es erstaunlich, dass m.W. niemand das Singen der Hymne vor dem Spiel je als Ritual gedeutet hat. Aber genau das ist es ja eigentlich: Spieler, Trainer, Fans, singen zusammen, es entsteht ein riesiger Chor, eine Gemeinschaft, die dasselbe Ziel verfolgt, musikalisch und symbolisch wächst man zusammen; es ist bereits Teil des Spiels (ebenfalls ein Ritual; zumindest nach Schechner). Und ich behaupte mal, was man da singt, ist gar nicht so wichtig. Diese Analyse würde dann auch erklären, warum das Nicht-Singen der Hymne so aufstößt - wie will man am Ritual teilnehmen, wenn man das Einstiegszeremoniell gar nicht mitmacht, die Grenze zur Liminalität gar nicht erst überschreitet. Truebehüeter halt.

    Und zur Ergänzung: Gesungen/skandiert wird auch bei jeder Demo. Ist nämlich auch ein Ritual.

  • Wohlwar, nun sollte der interessierte Leser auch wissen, dass gemeinsames Singen nicht zur gehörlichen Erbauung geschaffen wurde. Nein gemeinsames Singen stärkt das Gemeinschaftsgefühl. So haben es maschierende Soldaten, Sklaven auf den Feldern, Ureinwohner einer Dorfgemeinschaft etc. schon immer gemacht. Zusammengehörigkeitsgefühl ist der ursprüngliche Sinn des Gruppensingens. Von daher paßt das ganz gut in eine Mannschaft die zusammen Sport betreibt. Und wenn wir (wir) damit (mal) wieder Weltmeister werden bestehe ich sogar darauf. Das ist keine Politik, nein das ist Sportpsychologie. l Schlawiner Dipl-Psych.