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Kolumne Über Ball und die WeltDie Liebe zum FC Frederick

Martin Krauss
Kolumne
von Martin Krauss

Fußballer, die in die Politik wechseln, scheitern oft. Ein Makler geht nun den Weg andersherum: Er steigt aus der Politik aus und wird Cotrainer.

Kopfball. Bild: reuters

W ie bedeutend der Fußball ist, jedenfalls im Vergleich zu so etwas wie Wahlen um politische Ämter, lehrt uns Michael Kurtianyk. Der 46-Jährige aus Maryland, USA, zieht sich nämlich derzeit aus der Politik zurück, weil man ihm den Posten des Assistenztrainers einer Fußballmannschaft angeboten hat. Zehn Jahre lang hatte der Immobilienmakler wacker in der Lokal- und Kreispolitik mitgemischt. Aber jetzt will er nicht mehr. „Ich gebe das jetzt auf“, hat er in der Lokalzeitung Frederick News-Post erklärt.

Nun könnte man einwenden, dass Kurtianyk leicht verzichten könne, weil er ja kein allzu bedeutender Politiker gewesen war: 2010 scheiterte er als Kandidat der Demokraten bei der Wahl als County Commissioner, eine Art Landrat für Frederick County. Ambitionen auf eine neue Bewerbung im Jahr 2014 wurden ihm nachgesagt. Kurtianyks Klub FC Frederick, für den er sich schon lange engagiert und der ihn jetzt als regelmäßigen Cotrainer will, ist in der Provinz von Maryland angesiedelt. Gerade zu ein paar Titeln als State Champion hat es in den letzten 20 Jahren gereicht.

Das macht Kurtianyk vergleichbar mit Andrij Schewtschenko. Der frühere Weltklassefußballer aus der Ukraine wechselte auch jüngst zwischen Sport und Politik, und auch er blieb in etwa der gleichen Liga. Schon im letzten Sommer verkündete Schewtschenko, der zuletzt in der ersten Liga der Ukraine kickte, er wolle jetzt ins nationale Parlament, nämlich für die Oppositionspartei „Ukraine Vorwärts“. Auch Schewtschenko hat seinen Wechsel fußballerisch begründet: Er wolle „meine Erfahrungen, die ich in Europa gesammelt habe, teilen, um etwas für mein Land zu tun“.

Das klingt zunächst nachvollziehbar: Weltberühmt wurde er durch Fußball, jetzt will er da, wo auch Sportler wie der Nochboxer Witali Klitschko ihre Reden halten, dafür sorgen, dass sein sportlicher Ruhm aufs Land und seine Partei abfärbt.

Aber was überzeugend scheint, ist es nicht: Ein ukrainischer Politiker Schewtschenko wird so wenig ernstgenommen wie der frühere brasilianische Minister Pelé. Sogar der vielleicht beste Kicker der Fußballgeschichte saß in den neunziger Jahren schließlich schon einmal im Kabinett Brasiliens. Doch gerade sein Beispiel zeigt: Für die politische Bedeutung eines Landes kann der Fußball definitiv mehr beitragen als ein Minister, selbst wenn er Pelé heißt.

Die Macht des Fußballs

Bild: privat
Martin Krauss

ist freier Autor der taz, mehr Infos auf martinkrauss.de.

Auch wenn gerne von der „Instrumentalisierung des Fußballs durch die Politik“ die Rede ist – in Wahrheit geht es meist andersherum zu. Der Sport, gerade der mächtige Fußball, hat eine immense Macht oder könnte sie zumindest haben.

Das gilt nicht nur für Länder wie Brasilien oder die Ukraine, es stimmt beinahe überall: Vergleichsweise kleine Kommunen wie Gelsenkirchen, Kaiserslautern oder Mönchengladbach wären in der Bundesrepublik ohne Fußball weitgehend unbekannt, von Orten wie Hoffenheim oder Wehen ganz zu schweigen. Hier wirkt das gleiche Prinzip, das in den 60er und 70er Jahren viele unabhängig gewordene Länder Afrikas verfolgten: über sportliche Erfolge bekannt werden, sich so Respekt verschaffen und damit auf die „politische Weltkarte“ gelangen.

Michael Kurtianyk, der gerade die Politik Marylands verlässt, um als Fußballtrainer zu arbeiten, macht sich auf den erfolgversprechenden Weg, der Provinz von Frederick zu mehr politischer Bedeutung zu verhelfen. Ob das klappt, ist nicht sicher. Aber wahrscheinlicher, als dass Andrij Schewtschenko noch mal irgendetwas Bedeutendes leistet, ist es schon. Dessen Partei hat’s nicht mal ins Parlament geschafft.

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Martin Krauss
Jahrgang 1964, Mitarbeiter des taz-Sports schon seit 1989, beschäftigt sich vor allem mit Fußball, Boxen, Sportpolitik, -soziologie und -geschichte
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