piwik no script img

Kolumne So nichtFrüher war mehr Stöhnen

Doris Akrap
Kolumne
von Doris Akrap

„Sex macht Spaß, Kinder und gesund“ – so sollte ein Slogan der Krankenkassen lauten. Denn: Bumsen ist vom Aussterben bedroht!

Fliegen beim Sex hört man nicht – in unseren Betten wird es auch immer leiser Foto: Gordon Welters

S ex auf Rezept – geile Idee. Sex gilt ja inzwischen schon als museumsreif und könnte vom Bonner Haus der Geschichte genauso gut als Objekt der Begierde in Betracht gezogen werden wie der Lkw vom Breitscheidplatz. Sex ist vom Aussterben bedroht, jedenfalls wenn man den Studien glaubt, die behaupten, dass die Deutschen immer weniger Sex und auch immer weniger Lust auf Sex hätten.

Die jüngste akademische Langzeitstudie hat festgestellt: je älter (zwischen 60 und 70) umso mehr, je jünger (zwischen 18 und 30) umso weniger Sex hätten die Landsleute. Ich kann das für meine Nachbarschaft – ein Berliner Trendkiez – bestätigen. Früher war mehr Stöhnen. Jedenfalls im Sommer, wenn die Fenster nachts offen gelassen werden.

Die Experten haben allerlei Meinungen dazu, was der Grund dafür ist. Fakt ist, dass Sex abseits der Schmuddelecke Internet vor allem als Gegenstand für Gesundheitsbewusste (also gefühlt so langsam alle) interessiert: höherer Kalorienverbrauch als beim Segway-Fahren, effektiver als 5 Liter Biozitrone-Ingwertee und 30 Mal billiger als saunieren fürs Immunsystem.

„Schatz, lass nochmal ne Runde poppen, mein Bierbauch muss weg“ ließe sich mit ganz viel Fantasie noch unter Libertinage im 21. Jahrhundert einsortieren. Aber „Schatz, lass nochmal ne Runde poppen. Wir brauchen mehr Punkte im Bonusheft“ nicht mehr.

Sex auf Rezept?

„Sex macht Kinder, Spaß und gesund“ könnte der Slogan der nächsten Ausgabe des Kundenmagazins Ihrer Krankenkasse lauten. „Sammeln Sie Bonuspunkte mit jedem Sexspiel, das länger als 30 Minuten dauert.“ Warum sollten Krankenkassen das nicht tun, wo sie auch Therapien mit Eigenurin, Eigenblut, Eigenentspannung oder Richtiggehen-, Richtigstehen- und Richtigatmen-Kurse finanzieren?

Sex dient der Gesundheit und dem Fortbestand der Landsleute. Warum also sollte, wer unter akutem Sexmangel leidet, nicht zum Arzt gehen und sich ein Rezept für therapeutischen Sex ausstellen lassen können? Die Entscheidung, ob auf dem rosa Zettel „kurativ“ oder „präventiv“ angekreuzt wird, kann den Menschen im weißen Kittel überlassen werden.

„Vorstoß“ wird genannt, wenn Politiker eine neue Idee haben. Die pflegepolitische Sprecherin der Grünen hatte am Sonntag einen gewagt und vorgeschlagen, dass Pflegebedürftige und Schwerkranke eine „Sexualassistenz“ verschrieben bekommen können sollten. Also Sex auf Rezept. Landen konnte sie damit allerdings nicht.

So wichtig wie die Mautgebühr

Ihr Parteikollege Boris Palmer fand die Idee was für „weltfremde Spinner“ und die meisten anderen Kommentatoren auch, weil, hahaha, OMG, das sei ja wohl totaler Bullshit in Zeiten, in denen wir nun wirklich ganz andere Probleme hätten.

Ja, haben wir vielleicht. Aber darüber zu reden, welche Rolle Sex heute spielt und ob er nicht vielleicht längst nur noch als Medikament wahrgenommen wird, ist nicht ganz unwichtig. Nichts gegen Sex als Medikament. Der Sex vieler Ehepaare ist wahrscheinlich weniger aufregend und weniger gesund als der mit einer „Sexualassistentin“.

Aber der Horror ist das sich immer mehr sterilisierende Leben, das immer prüder werdende Leben, in dem Sex auf einer Stufe mit Aspirin steht. Sex ist nicht die Lösung. Aber mindestens ein so wichtiges Problem wie die Mautgebühr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Bonobos pflegen da echt eine vorbildliche Kultur. Die haben sogar ohne Tinder Spaß.

  • Wenn überhaupt, dann stellen Teile dieser Gesellschaft (und zwar die ton-angebenden) den Sex nicht "auf eine Stufe" mit dem (klinisch reinen) Aspirin, sondern mit dem (aus ihres Sicht fragwürdig-ekligen) Eigenurin.

     

    Natur ist ziemlich unbeliebt derzeit, scheint mir. Vor allem die, die "in den Medien" erscheinen, sind offenbar dermaßen eitel, dass sie sich alles Heil weniger von Mutter Natur als vielmehr von irgendwelchen Alphamenschen versprechen - die sie, da bin ich ziemlich sicher, am allerliebsten selber wären.

  • Die Antwort liefert bereits Pythons "Sinn des Lebens", vgl Irische Katholiken und protestantische Abstinenzler. Sex ist halt nix für die aufgeklärte Leistungsgesellschaft mit dauerhafter Existenzangst.

    • @eremit:

      Ich denke, das sehen Sie ganz falsch, werter EREMIT. Gerade für die "aufgeklärte Leistungsgesellschaft mit dauerhafter Existenzangst" wäre Sex ein taugliches Mittel zum Stressabbau und damit zur Leistungssteigerung. (Nicht, dass ich ihr dieses Mittel wirklich gönnen würde...)

       

      Leider-Gott-sei-Dank haben Ihre "protestantischen Abstinenzler" die (irischen, spanischen, italienischen, französischen und deutschen ) Katholiken beerbt was die Moral angeht. Die Katholiken haben Sex als Sünde angesehen – und genau deswegen mit Wonne praktiziert. Schließlich hat a) der Druck der Kirche diese Art von psychischem Selbstschutz dringend notwendig gemacht, b) Kinderreichtum unter Katholiken mangels Solidargemeinschaft als Versicherung gegolten, c) irgend ein Witzbold mal gestreut, dass das Verbotene dem Untertan viel mehr Spaß macht als das Erlaubte, weil man sich dabei selbst ermächtigt, und d) die Kirche mit der nach der Sünde vorgeschriebenen Beichte dafür sorgt, dass Katholiken niemals lange Sünder sind.

       

      Ein ziemlich ausgeklügeltes Kontrollsystem, was die da hatten seit dem frühen Mittelalter! Dass sich die Puritaner dieser Kontrolle gern entziehen wollten, verstehe ich. Dass sie das untauglichste Mittel dafür gewählt haben, das es überhaupt zu wählen gab, ist auch nicht überraschend. Wer unter großem Stress steht und außerdem ganz neue Eege geht, der macht halt leicht mal einen richtig blöden Fehler - weil er nicht auf Erfahrungen zurückgreifen und/oder nicht gut denken kann, sondern nur kämpfen oder flüchten.

       

      Apropos flüchten: Sind Sie ganz sicher, werter EREMIT, dass Sie sich nicht in eine Traumwelt flüchten, die längst vergangen ist, weil sie nie wirklich gut war und deshalb auch von kaum einem halbwegs rationalen Menschen - einem MIT Sex also - richtig gewollt?

  • Das ist schon ein Thema, auch wenn Olaf Palmer das anders sieht. Es ist maximal ein Vorstoß bei den GRÜNEN bzw. in D.

     

    "In anderen Ländern wie den Niederlanden oder auch Schweden wird Sexualbegleitung hingegen längst von den Krankenkassen bezahlt. Auch Jutta kann von Klienten berichten, welche dank der Treffen mit ihr ausgeglichener sind.O-Ton Jutta: „Ich hab Berichte von Betreuern und auch Familienangehörigen die sagen, dass derjenige viel ausgeglichener, viel ruhiger ist, weniger Medikamente (braucht) und keine Aggressionen mehr gegenüber anderen Bewohnen in Einrichtungen hat, die auch dort wohnen."

     

    "Nicht nur Jutta, sondern auch die behinderten Menschen und deren direktes Umfeld würden sich wünschen, dass Sexualbegleitung in der Gesellschaft endlich mehr wahrgenommen wird. Denn viele Klienten müssen oft lange sparen um sich die Sitzung mit einer Sexualbegleiterin leisten zu können."

    http://www.focus.de/gesundheit/videos/sexualbegleitung-lust-naehe-und-zaertlichkeit-fuer-behinderte-menschen_id_2678648.html

    http://www.profamilia.de/fileadmin/publikationen/Fachpublikationen/expertise_sexuelle_assistenz.pdf

    http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/sex-fuer-behinderte-menschen-die-dienste-einer-sexualbegleiterin-a-850166.html

  • Sex ist völlig überbewertet

    • @Waldo:

      schade für sie,wenn sie das so sehn.