Kolumne Schlagloch: Der Wille zum Korrektiv
NSA und NSU zeigen, wie unangebracht es ist, „unserem“ Staat zu vertrauen. Denn er schützt uns nicht mehr. Es gilt, auf Distanz zu gehen.
N achdem ihm von den USA die Einreise verwehrt wurde, äußerte Ilja Trojanow in einem Interview die bemerkenswerten Sätze: „Ich möchte mit dieser Bundesregierung gar nichts zu tun haben. Sie ist so völlig unsensibel gegenüber Bürgerrechten und Freiheitsrechten. Sie vertritt mich nicht, und deswegen will ich sie auch zu nichts auffordern.“
Das Bemerkenswerte daran ist, dass Trojanow die Bundesregierung nicht nur scharf kritisiert, sondern er wirft die Frage auf, ob sich unsere Regierung nicht vielleicht so weit davon entfernt hat, ihre Verantwortung wahrzunehmen, dass sie auch an Legitimation verloren hat. Zumindest laut diesen Sätzen ist sie gar nicht mehr seine Regierung.
Ich habe in den letzten Monaten Ähnliches gedacht, aber nicht anlässlich des NSA-, sondern des NSU-Skandals. In den letzten zwei Jahren haben wir die größten Ungeheuerlichkeiten über den Umgang unseres Staates mit diesen rechtsextremen Mördern erlebt; im Laufe des Prozesses werden sie nochmals vor aller Augen aufgerollt.
Wir bekommen dabei nicht nur das völlige Versagen der Verfassungsschutzbehörden vorgeführt, sondern auch der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaften, der Innenministerien etlicher Länder und des Bundes. Der einzelne Kripobeamte hat nach Kräften Hinweise überhört und Zusammenhänge übersehen, so wie der Verfassungsschutzbeamte V-Leute bezahlt und Akten geschreddert hat. Auf jeder Ebene half jeder nach Kräften – nur nicht den Angehörigen der Opfer.
All diese Beamten sind ja letztlich da, um uns, die Bürger, zu schützen. Aber sie schützen uns nicht. Dass diese Erkenntnis bei vielen im Lande anscheinend noch nicht mit voller Wucht angekommen ist, liegt vielleicht daran, dass sie sich relativ sicher fühlen: Schließlich hat die NSU nur „Ausländer“ umgebracht. Auch die im Dresdner Gerichtssaal erstochene Marwa El Sherbini war „von woanders“, und sie trug Kopftuch. Solange ich nicht Kopftuch trage und nicht Marwa, sondern Maria heiße, bin ich sicher – das scheint ein verbreiteter Umkehrschluss.
Das ist erstens eine höchst egoistische Sicht auf die Sache, und zweitens ist sie falsch. Die Kette von NSU-Skandalen betrifft uns alle ebenso wie der Skandal, dass die NSA uns abhört. Denn jeder Einschnitt in die Freiheitsrechte muss durch ein gewaltiges Plus an Sicherheit ausgeglichen werden. Doch dieser Staat erlaubt nahezu alle NSA-Aktivitäten und bietet kaum Anti-NSU-Aktivitäten auf. Das ganze Sicherheitssystem dieses Staates ist völlig aus dem Gleichgewicht, der Staat hält sein Versprechen gegenüber uns BürgerInnen nicht.
Auf der Liste der Verluste
Man sollte sich auch erinnern, dass das Versprechen dieses Schutzes exakt das ist, was das staatliche Gewaltmonopol überhaupt erst begründet: BürgerInnen verpflichten sich, nicht selbst zur Waffe zu greifen, weil die Einhaltung der Gesetze von den staatlichen Justiz- und Exekutivorganen gewährt oder wenigstens ihre Verletzung verfolgt wird. Genau darauf können wir uns aber leider nicht verlassen: dass rassistisch motivierten Gewaltverbrechen auch nur ansatzweise unvoreingenommen, sorgfältig nachgegangen wird. Eher können wir uns darauf verlassen, dass die Täter als V-Männer durch Gelder aus einem Landeshaushalt unterstützt werden.
Ein zweiter legitimatorischer Pfeiler dieser Demokratie hat übrigens ebenfalls an Kraft verloren: Der Sozialstaat, der einen Ausgleich für die Macht der Wirtschaft schaffen soll, ist der achselzuckenden Erkenntnis gewichen, dass sich jeder um seine Rente und die Qualität seiner Gesundheitsversorgung selbst kümmern muss. Zusatzversicherungen sind das Gebot der Stunde. Vielleicht werden bald auch Zusatzversicherungen für die Aufklärung von Gewaltverbrechen angeboten: „Ihr Sohn wurde erschossen, und die Polizei arbeitet nicht ordentlich? Wir übernehmen Ihre Detektivkosten!“
Drittens: Das Wahlrecht, das im besten republikanischen Sinne gewährleisten soll, dass diejenigen, die von den Gesetzen regiert werden, diese auch mitverfassen, ist nach wie vor 6 bis 8 Prozent der hier dauerhaft ansässigen, aber nicht hier geborenen Menschen vorenthalten. Hier ist Demokratie nicht einmal im formalen Sinne voll verwirklicht (von weiteren Problemen wie dem Lobbyismus ganz abgesehen).
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Möglicherweise werden einige Grüne nun nicken und denken: Prima, wir haben ja die Abschaffung des Verfassungsschutzes in unser Programm aufgenommen und immerhin auch das kommunale Ausländerwahlrecht. Aber es geht nicht nur um das, was im Programm steht; es geht auch um die Nähe oder Distanz, die man zu diesem Staat und seinen Institutionen annimmt.
Zugegeben: Es gibt keine perfekte Demokratie; jede real existierende Demokratie ist nur eine Station auf der weiten Skala zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Aber wenn sich die Wirklichkeit eines Staates zu weit von seinem Anspruch entfernt, handelt er sich Legitimationsverluste ein. Und die Bundesrepublik im Jahr 2013 leidet unter deutlichen Legitimationsdefiziten. Wie Trojanow sagt: Diese Regierung – nein, überhaupt viele staatliche Institutionen dürfen gar nicht mehr mit vollem Recht behaupten, unsere Regierungs- und Staatsorgane zu sein.
Vor diesem Hintergrund sollten die Grünen aufhören, mit einer Regierungsbeteiligung zu liebäugeln. Es reicht nicht, sich darauf auszuruhen, was in den eigenen Programmen steht; sondern es geht darum, wie viel Vertrauen man haben darf, dass das bisherige System trotz aller Fehler irgendwie funktioniert. In den letzten Jahren haben sich viele Grüne und Alternative dem Establishment dieses Landes angenähert in der nicht unberechtigten Hoffnung, am Regieren teilzuhaben und auf diesem Wege etwas zu verändern.
Meiner Meinung nach tut momentan weniger der Wunsch zum Mitmachen Not, sondern der Willen zum Korrektiv und eine Opposition, die diese Bezeichnung verdient, sind wichtig. Hinterfragen, enthüllen, herausfordern, stören: Die Zeit des Dazugehörens mag wiederkommen; aber erst einmal ist sie zu Ende.
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