Kolumne Rote Erde: Gefletschte Zähne
Wir sind wieder wir! Geballte Faust, gefletschte Zähne und dreckigstes Lachen! Doch ich habe ein schlechtes Gewissen. Habe ich auch etwas zum Sieg beitragen können?
W ir sind wieder wir! Geballte Faust, gefletschte Zähne und dreckigstes Lachen! Über den deutschen Sieg gegen England haben nicht nur die Fans der Nationalmannschaft gejubelt, auch auf der Pressetribüne haben die Journalisten aus dem Land des 4:1-Siegers ihrer Freude freien Lauf gelassen. Das macht die Sportpresse sonst nur, wenn Italien verliert.
"Ja!" Nach Miroslav Kloses Führung hält es etliche Kollegen nicht mehr auf den Sitzen. Die einen wissen, dass das eigentlich nicht in Ordnung ist, und sagen beinahe entschuldigend: "Ich konnte einfach nicht anders!" Andere sind kaum zu halten: "Die haben wir richtig fertiggemacht." Ein schlechtes Gewissen steigt in mir auf. Bin ich wirklich der einzige Kollege hier auf der Tribüne, der sich sicher ist, nichts beigetragen zu haben zum deutschen Erfolg?
Ich frage mich, was ich dazu beitragen könnte, dass die Deutschen gegen Argentinien gewinnen. Blöd nur, dass meine Zeitung für das ganz große Ding eine viel zu kleine Nummer ist. Wie teuer es wohl ist, einen Schiedsrichter gewogen zu stimmen? Der Robert Hoyzer soll es ja für einen Plasmafernseher gemacht haben. Bei einer WM, denke ich mir, muss man sicher ein paar Geräte drauflegen. Nein, das können wir uns nicht leisten.
Andreas Rüttenauer ist Sportredakteur der taz und berichtet aus Südafrika.
Unsere Waffe ist das geschriebene Wort. "Schickt die Gauchos in die Pampa!" Das wird einen Lionel Messi auch nicht nervös machen. Außerdem liegt das Copyright für diesen Spruch beim früheren Fernsehkommentator Heribert Fassbender, der den argentinischen Schiedsrichter Juan Carlos Loustau, der bei der WM 1990 dem von Frank Rijkaard bespuckten Rudi Völler die Rote Karte gezeigt hat, in die Grassteppe wünschte, dahin, wo der Mann Fassbenders Meinung nach herkam. Gelebter Kastenbartrassismus.
Diego Maradona, so wurde es hier berichtet, sitzt des Abends gerne allein in einer Bar und freut sich, wenn er da ein gutes Fußballspiel im Fernsehen anschauen kann. Vielleicht kann ich ihm da einen Cocktail unterschieben, so einen, wie er ihm schon einmal bei der WM 1994 in den USA zum Verhängnis geworden sein soll. Aber Trainer, fällt mir dann ein, müssen ja gar nicht zur Dopingkontrolle.
Vielleicht sollte ich nicht gegen Argentinien, sondern für Deutschland agieren.
Ich beschließe, beim nächsten Mal auf der Pressetribüne unsere Nationalhymne mitzusingen. Vielleicht fühle ich mich dann als Teil einer großen gemeinsamen Sache. Aber dann wollen sich am Ende die Kollegen, die sich darüber mokieren, dass nicht alle deutschen Spieler Glückes Unterpfand besingen, mit mir anfreunden. Keine schöne Vorstellung!
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