Kolumne Pressschlag: Jämmerliche Bankrotterklärung
Beim Chemnitzer FC muss dringend über Neonazis gesprochen werden. Der Verein will die Debatte jedoch lieber ersticken.

Z urück in die Normalität! Dieses katastrophale Signal setzte der Chemnitzer FC am Donnerstag. Jahrelang hat man beim Regionalligisten den Mantel des Schweigens über seine massiven Probleme mit der rechtsextremen Fanszene gelegt und deren Dominanz in der Kurve somit mitzuverantworten. Seit Samstag aber herrscht der Ausnahmezustand – in ganz Deutschland spricht man über das Naziproblem des Vereins, nachdem mit Hilfe von Klubverantwortlichen dem verstorbenen Neonazi Thomas Haller, dem Begründer der Hoonara (Hooligan, Nazis, Rassisten), im Stadion gehuldigt wurde.
Das soll nun endlich aufhören! Also diese Debatten über das Versagen des Vereins. Der den Chemnitzer FC derzeit führende Insolvenzverwalter Klaus Siemon hatte die Journalisten zusammengerufen, „weil wir ein Stück weit das Thema jetzt abschließen wollen, damit wir aus dem irrationalen Zustand herauskommen, und wieder normal ins operative Geschäft kommen“.
Auch der Sportchef Thomas Sobotzik sprach sich für Mäßigung aus, weil seine Spieler allerorten damit konfrontiert seien, bei einem Naziverein zu spielen. Ein Appell, der an alle gerichtet war, denen etwas an der Region Chemnitz liegt. Für all diejenigen in Chemnitz, denen etwas an der Auseinandersetzung des Klubs mit seiner dominanten rechten Fanszene liegt, war es eine jämmerliche Bankrotterklärung.
Der Klub hält weiter an seiner Opfererzählung fest, nach welcher der mittlerweile zurückgetretene Veranstaltungsleiter allein die Verantwortung für alles zu tragen habe, weil er sich erpressen ließ. Andere Aufgaben darf er für den Klub im Unterschied zu drei Angestellten, denen die Kündigung ausgesprochen wurde, weiter ausüben. Die Klubführung des Chemnitzer FC drückt sich mit ihrer Opferhaltung und individuellen Schuldzuweisungen um die Aufarbeitung struktureller Probleme.
Der Verein begibt sich in die Opferrolle, statt zu handeln
Mittlerweile öffentlich gewordene Chatprotokolle weisen daraufhin, dass der Hooligan und Neonazi Thomas Haller im Verein eine verbreitete Wertschätzung genoss. Der Sicherheitsbeauftragte etwa schrieb: „Ich bin dafür. Wir finden eine Lösung für die Außendarstellung. Hoonara ist 20 Jahre her. Er hat sich seitdem mehr als stark gemacht für den Verein.“
Sechs Tage nach dem Nazigedenkveranstaltung im eigenen Stadion hätte man sich das Startsignal für eine offene Debatte gewünscht, statt eines Versuchs, Diskussionen zu ersticken. Es wäre an der Zeit gewesen, einen Maßnahmenkatalog vorzustellen, wie der Chemnitzer FC sich künftig aus dem Klammergriff von Rechtsextremisten lösen möchte. Denkbar wäre etwa gewesen, unabhängige Experten mit der Aufarbeitung der Geschehnisse zu beauftragen, eine Evaluierung der bisherigen Arbeit des Fanprojekts anzukündigen und neue Impulse, etwa die Zusammenarbeit mit antirassistischen Netzwerkpartnern, zu setzen.
Es hätten hoffnungsvolle Zeichen für alte und mögliche neue Sponsoren sein können. Stattdessen beklagte die Vereinsführung, man fühle sich von nun abwandernden Sponsoren im Kampf gegen rechts im Stich gelassen. Der Chemnitzer FC ist es, der all jene im Stich lässt, die sich von Rechtsextremen nicht vereinnahmen und einschüchtern lassen wollen.
In einem Fanforum des Vereins werden diejenigen für verrückt erklärt, die vorschlagen, aus eigener Initiative ein Zeichen zu setzen. Es heißt, man wolle lieber nicht auf offener Straße angegriffen werden oder Hausbesuche erhalten. Von einem Verein, der vor allem wieder normal ins operative Geschäft kommen möchte, können sie sich nicht geschützt fühlen. Die im Chemnitzer Stadion ausgehängten Bekenntnisse zur Toleranz wirken seit diesem Donnerstag hohler denn je.
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