Kolumne Press-Schlag: Viel Geflatter um nichts
Jogi Löw hebt an zur großen Analyse des WM-Versagens. Er hätte vieles hinter sich lassen können. Hat er aber nicht – und landet als Lame Duck.
Die Erzählung von der Lame Duck kam im 18. Jahrhundert auf, weil ein Händler an der Londoner Börse seine Schulden nicht mehr bedienen konnte. Die lahme Ente ist dann vom Londoner Finanzdistrikt aufs Feld der Politik geflattert. Lahme Enten haben die Angewohnheit, so zu tun, als ginge es ihnen bestens: Sie besäßen noch den vollen Machtumfang, behaupten sie, seien mopsfidel und ein Anführer, sozusagen der Goldbroiler, seien sie auch noch. Die Außenstehenden wissen meist: Das ist viel Geflatter um nichts. Bald hängt die Ente am Spieß.
So geht es auch dem Bundestrainer Jogi Löw. Er muss nach der für ihn desaströs verlaufenen Weltmeisterschaft in Russland viel Wind machen, um zu vertuschen, dass er nicht mehr der Alte ist, mithin nicht mehr der Weltmeistertrainer, dem keiner am Lack kratzen kann.
Die lahme Ente Jogi trat am Mittwoch zum ersten Mal seit fast zwei Monaten vor die Presse und erklärte sich. Löw wirkte dabei etwas fahrig, aber das ist wohl normal, denn das Scheitern und die Umstände drum herum waren schmerzlich für ihn. Sie haben das Selbstbild des Großtrainers angekratzt.
Lange acht Wochen hat er für eine Analyse gebraucht, die gar nicht mal so schlecht war: Er übte wie auch Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff Selbstkritik, sie sprachen demütig von „Entfremdung“, „Arroganz“, von schweren Fehlern, vom Fehlen einer Nähe zu den Spielern. Der Bundestrainer sprach auch über den Verlust „der goldenen Mitte“ im Spielsystem und davon, dass er dem Ballbesitzfußball zu dogmatisch gehuldigt habe.
Wird schon irgendwie werden
Sie wollen nun dies und jenes ändern, vor allem wollen sie wieder „Energie und Begeisterung“ in die müde Truppe bringen, die sich ja schon in der nächsten Woche gegen Weltmeister Frankreich beweisen muss. Auch wichtig: eine neue „Balance“. Das ist alles richtig, aber Löws Ausführungen waren die eines Gesundbeters, der mittels Selbstsuggestion eine bunte Zukunft malt.
Viel mehr als eine ganz nette Motivationsrede hatte Jogi Löw vorerst nicht zu bieten
Wird schon irgendwie werden, gell Olli, „das konnten wir uns auch gegenseitig versichern“ – so beschrieb Löw die Kleingruppendynamik auf der Nati-Führungsebene. Da haben sich zwei Gescheiterte gegenseitig Mut gemacht, auf dass es bald schon wieder besser werde und sie dort anknüpfen können, wo sich nur eine Laufmasche gebildet hat. Es war nicht alles schlecht, früher. Wäre ja ein Fehler, jetzt alles über Bord zu werfen. Ein „Jetzt-erst-recht-Gefühl“ müsse sich nun unter den Nationalspielern ausbreiten.
Viel mehr als eine ganz nette Motivationsrede hatte er vorerst nicht zu bieten, der Bundestrainer. Löw, der das Team seit 2005 begleitet, wirkte in München ein wenig ratlos, sogar persönlich verletzt, als er offenbarte, dass ihn Mesut Özil bis heute nicht zurückgerufen hat. Der Coach hätte das alles hinter sich lassen können, diese ganzen mäandernden Diskussionen über das Erdoğan-Foto, die Rassismusdebatte und das Kartoffel-Kanaken-Gedöns, mit dem der Spiegel zuletzt daherkam. Er hat es nicht getan. Er will weiter Goldbroiler sein. Das ist legitim, aber er muss wissen, dass er die ganzen Altlasten der Vergangenheit als schweren Rücksack mitschleppt.
Ein neuer Trainer hätte im Grunde das Gleiche sagen können wie Löw. Aber was bei dem einen das Gequake einer Lame Duck ist, käme beim anderen als großer Aufbruch rüber.
Leser*innenkommentare
Hugo Sanddorn
Dass Özil sich nicht einmal bei seinem langjährigen Förderer selbst gemeldet hat ist ein Hammer! Insofern muss man sagen: gut dass dieser Charakter weg ist.
Löw hat noch eine letzte Chance. Er muss eine in der Nations League voll überzeugende Mannschaft zeigen, ansonsten ist auch seine Zeit vorbei.
81331 (Profil gelöscht)
Gast
@Hugo Sanddorn ...wieso, bitte, sollte sich Özil bei Löw melden?
Löw, der es widerspruchslos hingenommen hat, dass Özil von rechten, nationalistischen und faschistischen 'Fans' als "Türkensau" etc. beschimpft wurde.
Leider macht 'dieser' Charakter als Bundestrainer weiter.
Ausserdem, Löw war kein "Förderer" von Özil. Özil ist und bleibt nunmal einer der besten, wenn nicht sogar der beste, deutschen Fußballer. Wie hätte Löw auf so einen aussergewöhnlichen Fußballer in der Deutschen Fußballnationalmannschaft verzichten können?!
lulu schlawiner
@81331 (Profil gelöscht) Da stimmt doch kein Wort von dem was sie schreiben. Plumpe Anschuldigungen. Wo ist das denn passiert?
Bodo Klimmek
Die Einsicht und Selbstkritik von Jogi macht das gewesene nicht ungeschehen. Er hat die jungen Spieler verprellt ! das ist der größte Rucksack !Und Jogi hat doch den besten Job den man als Fußballtrainer haben kann . Er hat eine Auswahl der besten Spieler auf die er zurückgreifen kann, seine Arbeitszeiten sind ein Traum, der Druck ist nicht gerade groß und das Gehalt ist bestimmt auch nicht zu verachten..... wer würde da schon von selbst kündigen ? Und andersherum können Bierhoff oder Grindel Jogi auch nicht entlassen da sie selbst zu gleichen Teilen zur Havarie beigetragen haben. Unterm Strich bleibt eine Win Win Situation oder doch eine Zwickmühle die zum Stillstand verdammt ist ?
Bayerle
@Bodo Klimmek Er hat eine Auswahl der besten Spieler auf die es zurückgreifen kann?
Theoretisch ja, aber der FC Bayern und die Bildzeitung schreiben ihm verdeckt vor, wer in die Nationalelf nominiert werden darf.
Nur ein Beispiel:
Die Nichtnominierung von unserem Stolperbayern Herr Thomas Müller wäre sein Ende als Nationaltrainer.
Herr Oliver Bierhoff ist pfiffig:
Er wohnt nicht nur in Bayern, er schlug Herr Prof. Dr. Tobias Haupt als Leiter der neuen DFB-Akademei vor.
Damit ist man in Bayern sehr zufrieden, da wieder mal einer der Ihren als potentieller Maulwurf positioniert wurde.
lulu schlawiner
Das Özil sich NICHT bei ihm gemeldet hat , ist eine sehr sehr wichtige Nachricht , auf die viele gewartet haben. Da kann ein Trainer auch gekränkt sein, Löw hat aber nicht gekränkt reagiert, was ihm hoch anzurechnen ist.
Es bleibt aber dabei, die blutleere Nationalmannschaft hat er verschuldet. Demotivation sollte ein Trainer schon beim Training erkennen. Vorwarnungen bezüglich der gescheiterten Weltmeister vor ihm gab es zur genüge. Da war kein Konzept. Die Erdogangeschichte war nur eine zusätzliche Baustelle, mehr nicht.
Picard
Verbrauchte Selbstinszenierer von Grindels Gnaden, die Seßhaftigkeit bei Fußball Funktionären ist deutlich angestiegen in den Tagen. Früher wollte man die Nationalmannschaft sehen, fortan wird man sich das antun müssen. Ich empfehle online Sport, das ist wenigstens ein Erlebnis.
91503 (Profil gelöscht)
Gast
Das kleben an den Pöstchen-Stühlen.
Das fehlen von Rückgrat.
Wäre Rückgrat, wäre Rücktritt.
Fussball? Politik?
Hand in Hand bergab mit dem Land.
Löw & Merkel: Super Verhältnis.
Viele Gemeinsamkeiten.
Entscheider-Zeitgeist.
Oje.
Oje.
Ojeminé.