Kolumne Press-Schlag: Rätselhaftes Relikt
Im Fußball müssen Fans immer irgendwen hassen. Die Braunschweiger etwa die Hannoveraner und umgekehrt. Wieso? Das weiß keiner.

Hannoveraner sind für die Fans von Eintracht Braunschweig ein Feindbild. Das zeigten sie beim Niedersachsen-Derby am Freitag Bild: ap
Der Fußball bekommt ja immer mehr gesellschaftliche Funktionen aufgeladen, die früher andere Institutionen übernommen haben. Der Testosteronüberschuss junger Männer entlud sich früher in kräftezehrenden Berufen wie Waldarbeiter, Schmied und Bergmann sowie in rituellen Kirmes- und Wirtshausschlägereien.
Heute: Hools. Das Bedürfnis, inbrünstig zu verehren und für 90 Minuten eindeutig zu wissen, was richtig und was falsch ist, bediente früher die Kirche. Und dort sangen die Menschen auch gemeinsam. Heute: Stadion. Die ehrpusselige Konkurrenz der Nationen führte früher zu Kriegen. Heute: EM und WM. Und selbst das Erlebnis, das die 68er und die Friedensbewegung noch kannten, nämlich den öffentlichen Raum gemeinsam mit Zehntausenden anderen Menschen zu nutzen, kennt man heute nur noch vom Weg zum Stadion.
Rätselhafterweise hat sich auch ein absurdes Relikt in den Fußball gerettet: die Erbfeindschaft. Mindestens 150 Jahre lang, bis 1945, lernte jedes deutsche Schulkind, bei Frankreich handle es sich seit jeher um den Feind. Wegen Versailles. Und wegen der Emser Depesche. Und wegen Napoleon. Und weil Ludwig XIV. das Heidelberger Schloss zerkloppt hat. Und wegen Karl dem Kahlen und Ludwig dem Deutschen; Sie wissen schon, 843 nach Christus.
Heute lernt jedes Braunschweiger Kind, dass Hannover 96 der Feind ist. Und umgekehrt. Und keiner der Deppen, die da am Freitagabend Randale machten, hat irgendeine Ahnung, wieso. War gerade neulich, 1976, im letzten Erstliga-Derby was vorgefallen? Die Archive geben nichts her.
Braunschweig in der Bundesliga, Hannover Herzogtum
Die Süddeutsche zerrte am Freitag weitere Erklärungsversuche aus der Mottenkiste hervor: Braunschweig kam 1963 statt Hannover in die Bundesliga. Und ein ebenso naheliegender Anlass zur Empörung für den Proll von 2013: Der Wiener Kongress machte Hannover 1815 zum Königreich, Braunschweig aber nur zum Herzogtum. Logisch, dass man deshalb 2013 mit Pyros auf Menschen ballern muss. Ungefähr genauso logisch wie der fortgesetzte Kampf gegen die kaiserlichen Steuereintreiber. Und gegen die Missionare, die im 8. Jahrhundert unsere schöne Donar-Eiche gefällt haben.
Auch anderswo soll man immer irgendwen hassen – egal, ob er als Gegner auf dem Platz steht oder nicht. BVB oder Schalke. Als Hertha-Fan soll ich Schalke doof finden – keine Ahnung, warum. In Frankfurt sollte ich mich zwischen der Eintracht und Kickers Offenbach entscheiden. Wieso? In Hamburg muss ich den HSV blöd finden, wenn ich St. Pauli mag. Hä? Freiburg gegen Stuttgart = Badenser (habsburgische Katholiken) gegen württembergische Lutheraner. Erbfeindschaft. Alles klar?
Solange es Folklore ist, stört es ja nicht weiter. Aber sich prügeln, ohne zu wissen, warum der andere überhaupt verdroschen gehört? Ziemlich bekloppt.
PS: Bayern München ist scheiße! Ich bin schließlich Preuße.
Leser*innenkommentare
miri
Gast
"Und wegen Karl dem Kahlen und Ludwig dem Deutschen" muss richtig heißen "Und wegen Karls des Kahlen und Ludwigs des Deutschen". Aber das mit der Donar-Eiche war doch nun wirklich unverzeihlich, nicht? Das trage ich keinem Fußballclub, aber der Missionaren nach!!
Pipi Langstrumpf
Gast
Es ist offensichtlich im menschlichen wesen veranlagt das man sich mit anderen mist, sei es im sport auf dem Fußballplatz, oder eben auf der Tribüne durch Fangesänge. Die körperliche Auseinandersetzung ist zwischen Fußballfans auch als eine art wetkampf zu begreifen, der so lange sich beide seiten an gewisse regeln halten („Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch keinem anderen zu.“) fair abläuft. Der Text oben beschreibt schön tradierte vorurteile, währe doch schön wenn wir sie auf den Fußball, als eine art Spielwiese begrenzen können.
bg
Gast
Und wieder müssen in erster Linie die Braunschweiger herhalten.
Das die Hannoveraner in ihrer Choreographie immer wenn Braunschweig gemeint war Abschaum schrieben, ein Transparent mit "Tod und Hass dem BTSV" entrollten und im Gegensatz zu den Braunschweiger Pyros in der Nordkurve fast ununterbrochen Feuerwerk brannte ist da egal.
Aber hey was erwartet man ist ja die taz...
Ja es gab unschöne Vorfälle im Vorfeld. Ja es wurden Schweine ausgesetzt, Sachen beschädigt und von Medien und Polizei nahender Bürgerkrieg vorausgesagt. Ja es gab rund um das Stadion unschöne Szenen. Aber von ungewöhnlich vielen Verletzten habe ich nichts vernommen.
Am Ende war es ein emotionales Umfeld für ein mittelmäßiges Bundesligaspiel. Und von Hools und Krawallen keine Spur, die meiste Angst hatte man als Fan am Ende auf dem Rückweg und das nicht vor den anderen Fans sondern vor der Polizei. Die Polizei die mit Wasserwerfern, Tränengas, Gummigeschossen und überforderten Hundeführern zu Werke ging.
Tyler
Gast
@bg Was um alles in der Welt haben ihre Einlassung bitte mit obigem Artikel zu tun?
tomas
@Tyler dies sind beschreibungen, die ausserhalb des stadion's beobachtet wurden...!!!
Tom
Gast
@tomas Naja, es gab seit 1976 ja auch einige Spiele zwischen dem BTSV und H96 in der 2. und 3. Liga. Und die waren immer emotional, aber insgesamt nie von Krawallen oder fiesen Aktionen begleitet.