Kolumne Overseas: Raus aus dem Mittelmaß
Vier Jahre habe ich aus den USA berichtet. Jetzt geht es zurück nach "Good old Europe".
A merika ist ein Fischstäbchen. Handlich und fern des ursprünglichen Zustands. Das Land ist die Verkörperung des Mittelmaßes, möglichst easy und dabei nicht zu genau hingucken. Ich mache mir so meine Gedanken, was es auf so wenigen Zeilen über dieses Land zu sagen gibt, aus dem ich nun vier Jahre lang berichtet habe. Eins ist klar: Es ist Zeit, nach good old Europe zurückzukehren, bevor ich mich zu sehr über die alte Welt wundere, weil es sich einfach so herrlich bequem in Fischstäbchen-World lebt. Gerade reise ich noch einmal herum. Quer durch den Kontinent. In einem billigen, bequemen Mietauto schaukele ich, Tempomat gesteuert, mit gemütlichen Tempo über Schlaglochpisten, die dafür aber hunderte von Kilometern lang kurvenlos sind.
Am Etappenziel angekommen, gleite ich mitten in der Prärie in eine Tiefgarage und mit dem Fahrstuhl ins Hotelzimmer, in dem mich, wie jeden Abend, ein tennisplatzgroßes Bett mit viel zu vielen Kopfkissen erwartet. Die Lichtschalter sind immer an der gleichen Stelle, der Kaffee stets schlecht. Die Menschen, die ihn verkaufen immer reizend und begeistert, dass ich von so weit her komme, um durch ihr Straßendorf zu fahren, dass dem nächsten zum Verwechseln ähnlich sieht. Dass ich kommen würde, daran hatten sie keinen Zweifel. Den sie sind sicher: Jeder will im Grunde nach Amerika.
Wir aus der alten Welt rackern uns an dieser idiotischen Selbstsicherheit ab, spießen in langen Nächten auf, was alles nicht Gold ist, das in Gottes eigenem Land glänzt. Und da glänzt fast alles.
Adrienne Woltersdorf ist USA-Korrespondentin der taz.
Aber fragen Sie mal den Bulgaren, der mir heute morgen die pappigen Muffins verkauft hat, die seine Frau jetzt backt. "In Europa, in meinem alten Dorf, gehen die Frauen auf der Landstraße auf den Strich. Und wenn ich neuerdings mit meinem EU-Pass nach Deutschland oder Frankreich reise, schließt man die Autos weg und erzählt sich Geschichten von der Bulgarenmafia, meint er kopfschüttelnd. Und hier, in Amerika? "Wunderbar! Keiner weiß was über Bulgarien. Auch dass er Englisch nur radebrecht, stört keinen. Der Beamte bei der Einwanderung, der womöglich aus Puerto Rico oder Haiti stammt, spricht vielleicht noch schlechter als der Bulgare. Aber egal, solange man sich irgendwie verständigen kann, klappts auch mit dem American Dream.
Die Kultur des Mittelmaßes macht es möglich. Wir Neuen machen hier in Amerika vom ersten Tag an so gut wie alles richtig. Das ist schön, denn Heimat ist da, wo man sich auskennt. Zu Hause in der alten Welt haben wir höchste Ansprüche und sind stolz darauf, dass wir sie selbst kaum erfüllen können. Klar, gibt es hier die New York Times, das Museum of Modern Art (MoMA) und Barack Obama, das Land ist schließlich riesig groß. Aber die Times unter meinem Arm verunsichert niemanden in Wichita, Kansas. Wer Fischstäbchen isst, hat eben keine Angst vor Gräten.
Oder wie mir ein dickbäuchiger US-Unternehmer mit Baseballkappe und rutschender Jeans erklärte, der als Schusterjunge mit künstlichen Hüftgelenken sehr reich geworden ist: "Wenn ich im New Yorker Hilton einchecke, begrüßt man mich wie einen König. Wenn ich im Schweizer Sankt Moritz ankomme, fragen sie mich, ob ich mich in der Tür geirrt habe. Ich aber kann nicht anders: Ich möchte doch wieder Fußvolk im Café Einstein sein statt König bei Kentucky Fried Chicken. Viereckiger Fisch ist auf die Dauer eben doch etwas einseitig.
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