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Kolumne Ordem e ProgressoVerschrottet die verdammten Gitter!

Kolumne
von Johannes Kopp

Das Geschäft mit der Angst: In Brasiliens Städten gibt es kaum Häuser, die nicht vergittert sind. Es wird in Metallstäbe investiert statt in Bildung.

Eine Frau in Manaus fixiert die brasilianische Flagge an der vergitterten Fensterfront ihres Hauses. Bild: dpa

E s muss eine Abrüstungsinitiative in Brasilien gestartet werden! Es ist kaum mehr zum Aushalten. Egal durch welche Stadt Brasiliens ich bislang gelaufen bin – es ist immer das gleiche Bild. Es gibt Eingesperrte und Ausgesperrte. Um in ein Haus hineinzugelangen, muss man zuweilen gar zwei Gitterbarrieren überwinden. Erst öffnet der Portier per Knopfdruck die erste Tür. Wenn sich diese geschlossen hat, dann wartet man in einem Korridor aus Metallstäben, bis sich auch die zweite Tür auftut.

Hier habe ich erst verstanden, warum meine Vermieterin meine Frage nach einem Zimmersafe für Computer oder Wertsachen überhaupt nicht verstanden hat. So gut bewacht wie hier habe ich noch nirgends geschlafen. Jeder lebt hier in seiner Burg. Es fehlt nur die Zugbrücke und der Wassergraben. Aber ich habe als Auswärtiger natürlich gut reden.

Es geht um die gefühlte Sicherheit. Und letztlich kommt man mit der Rationalisierung des Problems, ob diese Gittergigantomanie tatsächlich mehr Sicherheit einbringt, nicht weiter. Wenn man beim Nachbarn schon so schwer reinkommt, will man selbst es den Kriminellen auch nicht einfacher machen. So nimmt die Aufrüstungsspirale ihren Lauf.

Im Dschungel Brasiliens mögen einige noch fieberhaft nach Gold suchen. In den Städten scheint das Gittergeschäft die wahre Goldgrube zu sein. Allerdings hat sich da offenbar jemand das Monopol aufs allgemeine Zu- und Aussperren gesichert. Es sind immer die gleichen klobigen Metallgerüste zu sehen. Monotone Einheitsware. Nun, gusseiserne Girlanden würden das drückende Bild auch nur marginal abmildern können.

Bildung und medizinische Versorgung statt Metallstäbe?

Und freilich könnten die Befürworter dieser Sicherheitsarchitektur jetzt ausrechnen, wie viele Arbeitsplätze all diese baulichen Maßnahmen samt den dazugehörigen Portiers mit sich bringt. Aus volkswirtschaftlicher Perspektive, so würden sie argumentieren, kann ein wenig Angst nicht schaden. Ganz im Gegenteil!

Wenn man sich aber nicht den vermeintlich ökonomischen Imperativen unterwerfen möchte, sondern sich nach mehr Lebensqualität sehnt, dann sollten mutigere Maßnahmen in Erwägung gezogen werden. Probeweise könnten vielleicht Tage der offenen Tür eingeführt werden. Und wenn sich diese bewähren, sollte man über Verschrottungsprämien nachdenken. Oder noch besser: Über ein staatliches Programm werden ab jetzt Metallstäbe gegen Bildungsgutscheine oder ärztliche Vorsorgeuntersuchungen eingetauscht. Damit wären in Brasilien gleich mehrere Probleme auf einmal gelöst.

Falls sich all diese Vorschläge auf nationaler Ebene nicht realisieren lassen, muss eine internationale Friedensinitiative gestartet werden. Wenn in den nächsten vier Jahren mindestens 50 Prozent aller Gitterbauten demontiert werden, darf die Seleção bei der nächsten WM ihr Tor vergittern, und Júlio César – dann als 38-Jähriger im besten Portiersalter – darf weiterhin davorstehen. Das Halbfinale von Belo Horizonte soll ja einmalig bleiben. Und Fifa-Präsident Sepp Blatter bekommt doch noch seinen Friedensnobelpreis.

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taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
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2 Kommentare

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  • Was die Menschen in Brasilien und anderswo im Süden absolut nicht brauchen, sind Ratschläge aus Europa.

    Aber es wird wohl noch ein bißchen dauern, bis die weißen Herrenmenschen kapieren, das sie nicht mehr die Herren der Welt sind,

    und das ihre Kultur nicht das Wertvollste überhaupt ist.

  • You made my day :-))