Kolumne Nullen und Einsen: Die Software, die Verrückte macht
Als Freiberufler kommt man an ELSTER, der elektronischen Steuererklärung, nicht vorbei. Wenn man mit ihr fertig ist, möchte man ein paar Finanzämter anzünden.
A nders als quasi alle Menschen mache ich Steuererklärungen eigentlich ganz gerne: Honorare und Auslagen in Excel-Tabellen sammeln, übertragen und zusammenzählen ist wie Zen. Und Formulare, die klar vorgeben, an welche Stelle man welche Ziffer schreiben soll, sind eine angenehme Kontrastbeschäftigung zu leeren Word-Dokumenten, in denen man an jeder Stelle jedes Zeichen schreiben darf. Wo also ist das Problem?
Das Problem heißt ELSTER Online, die – knickknack, Akronym! – ELektronische STeuerERklärung. Ein Zeichen der deutschen Finanzämter, im Online-Zeitalter angekommen zu sein, ein Angebot… nein, eben gerade KEIN Angebot. Jedenfalls nicht, wenn man als Freiberufler Umsatzsteuervoranmeldungen und -erklärungen machen muss. Die gehen nämlich nur noch mit Elster. Auf Papier ist es verboten. Verboten! Und Elster ist die Hölle, die digitale Version vom „Haus, das Verrückte macht“, aus „Asterix erobert Rom“, speziell wenn man einen Mac nutzt (was unter Freiberuflern gar nicht so selten vorkommt, wie man hört).
Schon die Registrierung besteht aufgrund der absurden Sicherheitsmaßstäbe von Elster aus einem mehrteiligen Verfahren, das einen 20-stelligen Aktivierungscode und einen Brief und eine weitere PIN beinhaltet – Holm Friebe hat diesen Wahnsinn schon 2006 in der Berliner Zeitung dokumentiert.
arbeitet als freier Journalist, unter anderem für taz2medien und taz.de.
Danach muss man ein Zugangszertifikat im .pfx-Format auf dem Computer abspeichern, das man, wenn man sich ein Quartal später erneut anmelden will, natürlich nicht mehr wiederfindet. Außerdem kann man sich das selbstgewählte Passwort, wenn man es nicht mehr weiß, auch nicht zumailen lassen. Man muss dann das gesamte Registrierungsverfahren von vorn starten. Immerhin hat man unendlich viele Eingabeversuche.
Selbst wenn man alles parat hat, läuft Elster nie (in Worten: nie!) auf Anhieb. Denn es basiert auf Java, fordert grundsätzlich immer die alleraktuellsten Versionen von allem ein, das Konzept „Abwärtskompabilität“ ist nicht bekannt. Bei meinem letzten Versuch der Umsatzsteuerquartalsanmeldung fürs Q4 2012 – das war am 10. Januar, am gleichen Tag empfahl übrigens das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik den Internetnutzern, Java wegen schwerwiegender Sicherheitslücken zu deaktivieren – lief Elster in meinen drei Browsern nicht.
Man könnte in so einem Moment natürlich ELIAS fragen, den – höhö, zwinkerzwinker – ELster-Informations-ASsistenten. Aber Elias ist ein dummer Roboter, der aussieht wie einer dieser MS-Office-Assistenten (erinnern Sie sich noch an Clippy, die sprechende Büroklammer?) und der genauso unnütz ist.
Und die Umsatzsteuerjahreserklärung kann ich mit Elster Online gar nicht erst machen. Dafür braucht man das dazugehörige Offline-Programm und das gibt es nicht für Macs. Für das Steuerjahr 2011 wurde mir nach circa zehn Telefonaten mit dem Finanzamt noch als Ausnahmegenehmigung eingeräumt, es doch auf Papier abzugeben. Für 2012 muss ich vermutlich Passierschein A38 vorlegen. Oder einen Windows-Rechner kaufen.
Das papierlose Büro galt jahrzehntelang als Utopie. Dank Elster wissen wir, dass es eine Diktatur sein wird.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott