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Alina Schwermer
Kolumne
von Alina Schwermer

Unter Freunden in Tunesien: Niemand von den Söhnen arbeitete, und niemand erwartete, Arbeit zu finden. Doch einer schafft es.

Und jeder träumt seinen eigenen Traum Foto: imago/UIG

A n einem kühlen Vormittag in Tunis erzählte mir Samis Schwester von ihren Fluchtplänen. Sami ist ein Bekannter in Tunesien, und seine Schwester lernten wir auf Besuch bei seiner Familie kennen. Vielleicht um die 30 Jahre alt, ohne Job, ständig im Haus der Familie, lethargisch, unverheiratet. Sie habe eine Internetbekanntschaft in Ägypten, berichtete sie. „Ich will ihn heiraten. Aber meine Eltern verbieten es.“ Getroffen habe sie ihn noch nie. Aber sie wolle zu dem Unbekannten.

Für eine andere Hochzeit waren wir sowieso in Tunis: Sami hatte uns zu seiner Heirat mit einer Brasilianerin eingeladen. Auch sie hatten sich übers Internet kennengelernt, die letzte Etappe einer verzweifelten Suche. Er, mittlerweile 32, wollte und musste eine Frau finden, und er wollte eine Ausländerin.

In Tunis hatte er dies und das gearbeitet, Kellner, Fremdenführer, Verkäufer, aber seit den Anschlägen kamen immer weniger Touristen, und er verlor die Jobs. Unqualifiziert, wenig gebildet, Sami wäre das, was man einen Wirtschaftsflüchtling nennt. Das Wort hat hierzulande einen verächtlichen Beigeschmack, selbst unter denen, die es eher gut meinen. Auf der Skala des Elends gilt es als weniger wert, Armut zu entfliehen. Dabei entkommt man Krieg oft sogar leichter, da hat wenigstens irgendjemand Mitleid. Wer arm ist, gilt als selbst schuld.

Wir flogen zur Hochzeit, doch die fand nicht statt. Die schlecht gelaunte Verlobte befürchtete offenbar steuerliche Nachteile in Brasilien. In Tunis waren sie einander zum ersten Mal begegnet, und wirklich gut funktionierte es nicht. Wir blieben trotzdem, herzlich umsorgt wie Mitglieder der Großfamilie, die sich das Haus teilte, wir verstanden voneinander nur die Hälfte, aber es war ziemlich lustig.

Wirtschaftsflüchtling. Das Wort hat hierzulande einen verächtlichen Beigeschmack, selbst unter denen, die es gut meinen

Nur lag über vielem eine seltsame, absolute Hoffnungslosigkeit. Niemand von den Söhnen arbeitete, und niemand erwartete, Arbeit zu finden. Die Tage verbrachten sie im Café und rauchten Kette, nachts betranken sie sich heimlich auf dem Feld, damit die Frauen es nicht bemerkten. Die taten zumindest so, als merkten sie es nicht.

Es gab nichts zu tun. An einem der Abende wurde Samis Bruder wegen Herzproblemen ins Krankenhaus eingeliefert. „Das passiert öfter“, erklärte Sami gleichmütig, der rauche zu viel. Der Bruder raucht weiter, er erwartete offenbar nichts mehr vom Leben. Die Schwester ist nicht zu dem Ägypter gezogen, sondern in eine Art Militärcamp.

Sie postet bei Facebook Hassparolen gegen die USA. Nur Sami hat es geschafft. Er hat die Brasilianerin im zweiten Anlauf geheiratet und lebt in Rio. Er schreibt glücklich vom eigenen Haus und hat einen Job in einer Strandbude. Er hat das Spiel gewonnen, in dem man klug heiraten muss, um würdig leben zu können.

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Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum und Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen und übers Reisen. Autorin mehrerer Bücher, zuletzt "Futopia - Ideen für eine bessere Fußballwelt" (2022), das auf der Shortlist zum Fußballbuch des Jahres stand.
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1 Kommentar

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  • Die Schwester tut mir leid. Ägypten ist kein gutes Land für Frauen.

    Selbst manche, die erst als Erwachsene dort hin gekommen sind, werden bei Operationen am Unterleib gleich in einem Rutsch gegen ihren Wunsch beschnitten, das heisst im Klartext, ihnen wird die Klitoris herausgeschnitten. Das Schicksal teilen sie dann mit über 90 Prozent der Ägypterinnen:

    de.wikipedia.org/w...3%BCmmelung#Afrika