Reisen in Zeiten von Corona: Sehnsucht nach Grenze

Eine seltsame, fiebrige Gier nach Restriktion hat die Gesellschaft ergriffen. Verbote – nicht nur beim Reisen- werden begrüßt.

Chinesische Touristen sind in Schutzanzügen, mit Atemmasken und Handschuhen im Terminal

Touristen mit Schutzanzügen am Flughafen in Frankfurt Foto: Arne Dedert/dpa

Der Raum ist klein geworden, gereist wird nur noch fußläufig ab Türschwelle. Unsere Fahrt nach Marokko mit dem eigenen Truck über Italien wurde als erste von einem der Coronaverbote erledigt. Kurzzeitig ersetzt hatten wir sie mit dem Plan Albanien, aber das war mehr ein Gespinst für einen Abend, bis alle relevanten Grenzen auf dem Zwischenweg geschlossen wurden. Als Letztes hofften wir auf ein geplantes Wochenende im Harz Ende März, das jetzt auch passé ist. Verbindung um Verbindung in der Welt wird gekappt. Verlust des eigenen Raums, das ist am Anfang eine Sorge reisender junger Wohlstandsbürger. Dann trifft der Verlust alle, und dieser Freiheitsverlust wird Spuren hinterlassen.

Welche Maßnahme, welches Opfer ist zur Bekämpfung dieser Pandemie sinnig? Diese Frage wurde lange kaum gestellt, und wer sie stellte, erntete im besseren Fall ­Unverständnis. In den sozialen Netzwerken gibt es einen beinahe militanten Konsens, der lautet: Alle Mittel sind recht. Sperrt uns ein, besser heute als morgen! Eine seltsame, fiebrige Gier nach Restriktion hat die Gesellschaft ergriffen, Menschen werden mit zunehmend drastischeren Worten aufgeteilt in Helfer und Feinde der Gesundheit.

Die Welt der Reiseberichte ist jetzt voll von reuigen Testimonials der Erasmus-Generation, die gerade noch in Mailand feiern war und jetzt Abbitte leistet. Vorbild ist China. Und die Einwände gegen einen Machtmissbrauch der Behörden, gegen Gewalt, Armut, totalitäre Überwachung, Hunger der Festgesetzten, gegen das Trauma des monatelangen Eingesperrtseins werden weggewischt. Das bisschen Diktatur.

In einer entgrenzten Welt, in der kaum etwas das bürgerliche Selbstbild so prägt wie unser Reisen, scheint das Virus eine lang gehegte Sehnsucht entfesselt zu haben: die nach Begrenzung. Ökonomisch und räumlich. Panik aber ist endlich. Je mehr Tage vergehen, umso mehr wird die Frage nach ökonomischer, so­zia­ler Verhältnismäßigkeit laut werden. Wer nicht mehr Existenzen zerstören als retten will, braucht sehr bald eine andere Lösung. Und ist es nicht spannend, dass Geldnot uns wieder mehr physische Freiheit bringen könnte?

Solidarität ist eine bemerkenswerte Sache. In der breiten Masse aber, die ihre Armen als Schmarotzer sieht und ihre Schutzsuchenden als Parasiten, wird die neue Solidarität schnell zum autoritären Rausch. Obdachlosigkeit und Flüchtlingslager selbstverständlich finden und gleichzeitig andere dafür schelten, nicht in die Armbeuge zu husten, ist in dieser Gesellschaft kein Widerspruch. Die, die sich von Corona die Schaffung einer solidarischen Welt erhoffen, könnten sich täuschen. Noch sind wir erst in den Flitterwochen der Quarantäne. Und Reisen? Wenn überall wieder Schlagbäume stehen und diese doch wunderbaren Dienst tun – wird sie nach Corona jeder wieder abbauen?

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