piwik no script img

Kolumne Nach GeburtFamilienwahlrecht jetzt!

Gehen Sie zur Europawahl! Ist wichtig. Nur Ihr nicht, liebe Jugendlichen, liebe Familien, liebe junge Leute, ihr seid nicht wichtig. Ihr seid egal.

Waffeln? Gratis? Die wähl ich Foto: dpa

A m 26. Mai ist Europawahl! Die wichtigste Wahl gleich nach der Wahl der Spardose am Weltspartag – die von der Commerzbank mit dem süßen Hamster drauf oder doch lieber die vom Knax-Klub der Sparkasse? Schwierig …

Halt! Stopp! So darf ich nicht reden. Ein Freund bezeichnete mich kürzlich als „zynisch-destruktiv“. Das möchte ich nicht sein. Deshalb: Gehen Sie wählen! Ist wichtig.

Nur Ihr nicht, liebe Jugendlichen, liebe Familien, liebe junge Leute, ihr seid nicht wichtig. Ihr seid scheißegal.

Zukunft mag zwar für alle Parteien eine wichtige Sache sein, aber noch wichtiger ist ihnen Erfolg jetzt. Und wer garantiert den? Kinder, die kurz vor dem Klo merken, dass der Weg dann doch zu weit war und dass sie nicht nur Pipi mussten? Eltern, die doch für gar nichts anderes Zeit haben, als sich nach dem braun-gelben Desaster die Hände zu schrubben, weil sie diesen Geruch einfach nicht mehr abbekommen? Nö. Erfolg garantieren die Alten. Bei der anstehenden Europawahl sind laut Bundeswahlleiter in Deutschland knapp 23 Millionen Über-60-Jährige wahlberechtigt. Das sind fast genauso viele wie alle Wahlberechtigten bis zum Alter von 44 Jahren. Und die Alten werden immer mehr.

Artikel 13? Umweltschutz? Nur was für Profis

Und so zeigen die Unionsparteien, aber auch die SPD, gerade, was sie von jungen Wähler*innen halten: gar nichts. Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform – ein Thema, das Schülerinnen und Schüler in den letzten Monaten so sehr politisiert hat wie lange nichts zuvor – wurde mit zwei ausgestreckten Mittelfingern und ein paar Beleidigungen in Richtung aller Gegner*innen der Reform durchgewinkt.

Die Anliegen der Fridays-for-Future-Bewegung? Da müssen a) Profis ran, deswegen schickt FDP-Lindner ja auch seine Klimwandel-Expertin Nicola Beer als Spitzenkandidatin ins Europawahlrennen, und b) Müssen wir da erst mal bei den Braunkohlekraftwerksbetreibern und den Autoherstellern anrufen, was die davon halten, und c) Habt ihr nicht eigentlich jetzt Doppelstunde Töpfern, liebe Schülerchen?!?

Und das zieht sich durch: Kitaplätze, Ausgaben für Bildung, Förderung von Alleinerziehenden, Entlastung von Familien – hat alles nicht unbedingt Priorität.

„Darum fordern wir von der Partei Die Partei die Einführung des Höchstwahlalters: Wenn die Menschen in den ersten 18 Lebensjahren nicht wählen dürfen, sollten sie auch in den letzten 18 Lebensjahren nicht wählen“, heißt es im Wahlwerbespot von Martin Sonneborns Die Partei. Ja, so sind sie, die Satiriker, haha, da lacht der öffentlich-rechtliche Fernsehzuschauer.

Nur: Die Partei hat Recht. Wenn es schon kein Kinderwahlrecht gibt und wir nicht wollen, dass politische Entscheidungen fast nur noch von denen bestimmt werden, die von den Folgen dieser Entscheidungen kaum noch betroffen sind, dann muss für Männer halt mit 60 und für Frauen mit 65 Jahren Schluss sein mit Wählen. Je weiter dann das Mindestalter abgesenkt wird, desto länger dürfen dann auch die Alten wieder mitwählen. Ist doch ein fairer Deal.

Nur: Beschließen müssten das die gewählten Vertreter*innen, die sich am Ende doch wieder an den Interessen derer orientieren, die schon mit einem Bein unter dem selbst geharkten Erdbeerbeet liegen.

Tja. Ich nehm dann die Hamster-Spardose.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jürn Kruse
Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • 50 Jahre wählen - von 18 bis 68 oder von 16 bis 66 Jahren.

    Danach fängt das Leben bekanntlich sowieso erst richtig an.

    Aber mal Spaß beiseite: Ich hätte nichts gegen eine Alterbegrenzung beim Wahlrecht.

    Dann würden sich die Mittelalten vielleicht auch mal Mühe geben, so zu arbeiten, dass sich die Jüngeren - die nachrücken als Wähler_innen - nicht an ihnen rächen müssen.

  • Ich fände die Anregung, das Wahlrecht im Alter zu beschränken garnicht so verkehrt. Aber definitiv nicht auf eine Zahl vor dem Renteneintritt. Wer arbeitet und Steuern zahlt, sollte auch wählen dürfen und somit auf Entscheidungen zu Mittelverwendung / Arbeitsmarktgestaltung Einfluss nehmen können.



    Aber definitiv bin ich gegen geschlechtsspezigische Unterscheidung an der Stelle. Männer haben bei statistisch erwiesenen kürzeren bezugszeiten bei Rente und - dank erzwungenen Unisex-tarifen - schon jetzt bei Rente & Lebensversicherung einen geringeren outcome pro eingezahltem Euro als Frauen. Da wäre ein weiteres Abstrafen beim Wahlrecht nicht nett...

  • 9G
    90857 (Profil gelöscht)

    Überschrift: "Familienwahlrecht jetzt!"

    Bitte, bitte mal konkretisieren!

    Soll es eine tiefergelegte Altersuntergrenze geben, wenn ja, welche genau.

    Oder, eher der Überschrift nahekommend, sollten die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten pro Kind eine weitere Stimme erhalten?

    Letzteres könnte zum Schmunzeln anregen, gar "nach hinten" losgehen.

    Weil doch, so liest und hört man, die bildungsnahen, kosmomolitisch orientierten Bürgerschichten eher wenig Kinder haben;

    "andere" deutlich mehr ...

  • "dann muss für Männer halt mit 60 und für Frauen mit 65 Jahren Schluss sein mit Wählen. Je weiter dann das Mindestalter abgesenkt wird, desto länger dürfen dann auch die Alten wieder mitwählen. Ist doch ein fairer Deal."

    Man müsste sich schon entscheiden, welches Prinzip man nutzen möchte. Will der Autor jetzt Männer dafür bestrafen, dass sie kürzer leben?



    Dann müssten auch Arme ihr Wahlrecht früher aufgeben als andere und Privatpatienten dürften länger wählen.

    Um dem anderen Prinzip (Anfang und Ende des Lebens) gerecht zu werden, dürfte dann, wer mit 13 das Rauchen anfängt, schon mit 14 wählen. Logisch, oder?



    Jungs wählen dann ohnehin früher als Mädchen. Denn alte Männer sind ja das geringere Problem als alte Frauen - rein demographisch.



    So war's nicht gemeint? Na gut.



    Schade, dass man einen wichtigen Grundgedanken (reale Partizipation möglichst vieler Generationen) so verhunzen kann.

  • 9G
    94797 (Profil gelöscht)

    Ein schöner Kommentar.



    Frage:



    "Warum streicht man ihn nicht, wie so einige hier im Blog, die "zu unsachlich" und "keine konstruktiven Vorschläge " beinhaltete, sondern eun verwandtes Phänomen, der Psyhopathie darstellten ?"



    Antwort: "Weil nicht jeder Affenpopo daher kommen kann, sondern nur diejenigen, denen WIR das erlauben"