Kolumne Nach Geburt: Die Kröte Kind mitschlucken
Weil sie Frauen für die Politik gewinnen wollen, möchten manche Politiker die Kinderbetreuung ausbauen. Ist denen das nicht peinlich?
V or Kurzem habe ich einen Artikel in meiner Zweitlieblingszeitung, den Husumer Nachrichten, gelesen: Es ging um das Paritätsgesetz, das in Brandenburg gerade verabschiedet wurde. Es schreibt vor, dass auf den Wahllisten der Parteien auf jeden Mann eine Frau folgen muss – oder umgekehrt.
SPD und Grüne sind dafür, solch ein Gesetz auch in Schleswig-Holstein einzuführen, die anderen Landtagsfraktionen sind dagegen. Auch die FDP will solch ein Gesetz nicht. Aber deren Fraktionsvorsitzender Christopher Vogt möchte natürlich dennoch „noch viel mehr Frauen dafür begeistern, in unserer Partei mitzumachen“, sagt er. Und deswegen biete die FDP mittlerweile „professionelle Kinderbetreuung auf Parteitagen“ an.
Das ist ja ganz löblich. Aber: Wenn ich solche Sachen lese, frage ich mich immer, ob es Männern – uns, mir, Ihnen – gar nicht peinlich ist, so was zu sagen. Impliziert es doch, dass es in den politischen Männervereinen jahrzehntelang auch ohne solchen Kladderadatsch ging.
Dass Väter auch ohne Kinderbetreuung ganz gut am Parteileben teilnehmen konnten. Aber jetzt, da man Frauen gewinnen will, muss man halt auch Kinderbetreuung anbieten. Schließlich kann man von den Männern nicht das Gleiche erwarten wie damals von den Frauen: dass sie schön zu Hause bleiben.
Teil des Problems
Männer sehen die Notwendigkeit für Kinderbetreuung immer noch erst dann, wenn Frauen ins Spiel kommen. Als würden die Kinder an denen drankleben. Als sei Betreuung immer noch in erster Linie deren Aufgabe. Freunde, diese Denkweise ist Teil des Problems, warum sich weniger Frauen als Männer in der Politik – und im Beruf – engagieren!
Wir Frauen haben zu wenig für die paritätische Betreuung im Privaten gekämpft, sagt meine Mutter, als wir am Telefon darüber schnacken. Sie und ihre Kommilitoninnen und später ihre Kolleginnen hätten für Kinderbetreuung an der Uni oder am Arbeitsplatz gestritten, für Teilzeit, für Modelle, die ermöglichten, dass Frauen auch arbeiten konnten. Auch. Neben der Betreuungsarbeit. Denn all diese Modelle zielten stets auch darauf ab, dass sie Mann nicht berührten. Er konnte weiterarbeiten wie bisher. In Vollzeit.
Ihre Appelle, diesen Streit in die Partnerschaften zu tragen, seien überhört oder ignoriert worden, sagt meine Mutter heute. Viele Mütter hätten ihre Kinder auch nicht einfach den Vätern überlassen. Und so kämpften viele Väter nicht für ihr Recht auf Kinderbetreuung. Gab ja keinen Druck. Stattdessen machten sie es sich in diesem Modell gemütlich.
Wohin das unter anderem geführt hat, hat Josef Zweimüller von der Uni Zürich gerade untersucht: „In Deutschland verdienen Mütter zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes im Schnitt 61 Prozent weniger als im letzten Jahr vor der Geburt“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. „Für Frauen sind Kinder beim Gehalt eine Strafe.“ Bei Männern gibt es solch einen Effekt übrigens nicht. Warum? Siehe oben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione