Kolumne Macht: Telegramm nach Teheran
Mit Lichterketten macht man keine Außenpolitik: Es ist von Amts wegen richtig, dass Präsident Steinmeier dem Regime in Teheran gratuliert hat.
V orsicht bei der Einführung neuer Traditionen und Gewohnheiten. Einmal etabliert, lassen sie sich meist nur schwer wieder abschaffen, ohne dass jemand beleidigt ist. Langfristige Verstimmungen sind oft die Folge. Was für unverbrüchlich treue Silvesterrunden oder die einst so romantisch wirkende Idee gilt, den Hochzeitstag ewig beim selben Italiener um die Ecke zu feiern, gilt auch für Beziehungen zwischen Staaten. Wie sich jetzt an der Kontroverse um das Glückwunschtelegramm von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier anlässlich des 40. Jahrestages der iranischen Revolution zeigt.
Es gibt gute, spontan wunderbar einleuchtende Gründe für Kritik an dem Telegramm. Das iranische Regime verletzt systematisch die Menschenrechte im eigenen Land und verfolgt eine aggressiven, militaristischen Kurs, der bereits ungezählte Todesopfer gefordert hat. Herzlichen Glückwunsch zur Diktatur? Lieber nicht.
Aber es war eben nicht Steinmeier, der als Bundespräsident mit dieser Praxis angefangen hat, und dieses Argument ist nicht der Versuch, mit dem Finger auf andere zu deuten, um von dem Fehler eines Einzelnen abzulenken. Sondern politisch relevant. Wer mit einer Tradition bricht, wie unselig die auch sein mag, sendet damit ein Signal aus.
Nichts als Routine
Die Europäische Union bedauert den Rückzug der USA aus dem Atomabkommen mit Iran. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den transatlantischen Verbündeten sind – auch – bei diesem Thema anhaltend und tief greifend. Und ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt soll das deutsche Staatsoberhaupt ein Telegramm nicht abschicken, das in den letzten Jahren routinemäßig versandt wurde, ohne dass bislang ein Hahn oder eine Henne danach gekräht hätte? Wer meint, es gehe bei dieser Frage in erster Linie um eine prinzipielle Wertediskussion, dürfte auch glauben, dass sich Außenpolitik mit Lichterketten gestalten lässt.
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Hätte Steinmeier nicht telegrafiert, dann hätte er etwas getan, was gerade nicht seines Amtes ist: Nämlich ein tagespolitisches Zeichen gesetzt. Es ist ein Unterschied, ob die Bundeskanzlerin dem ägyptischen Diktator Abdel Fattah al-Sisi herzlich dazu gratuliert, dass er zum Vorsitzenden der Afrikanischen Union gewählt wurde oder ob der Bundespräsident dem iranischen Regime seine Glückwünsche übermittelt. Sie regiert, er repräsentiert. Ob das Auswärtige Amt begeistert gewesen wäre, hätte Steinmeier gerade dieses Mal nicht nach Teheran telegrafiert? Wohl kaum.
Man kann das Amt des Bundespräsidenten überflüssig finden. Anderes Thema. Derzeit gibt es das Amt, und der Grundgedanke hinter dessen Konstruktion ist der Wunsch nach einem Staatsoberhaupt, der oder die jenseits tagespolitischer Auseinandersetzungen das vertritt, was die demokratische Öffentlichkeit verbindet. Um das tun zu können, brauchen er oder sie aber auch einen gewissen Freiraum. Und einen Fundus an Vertrauen, der nicht der Person gelten muss. Wohl aber dem Amt.
Wenn der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland öffentlich scharfe Kritik am Bundespräsidenten äußert oder – ebenso öffentlich – die Frage diskutiert wird, ob er auf dem evangelischen Kirchentag willkommen sein sollte, dann sind das dramatische Vorgänge. Egal, wie gering das Interesse einer breiten Öffentlichkeit an einem demokratietheoretischen Thema auch sein mag.
War den Beteiligten bewusst, was sie getan haben? Haben sie es gewollt? Falls nein, und dafür spricht manches, dann müssen sie sich die Frage gefallen lassen, wie groß eigentlich ihr Respekt vor den demokratischen Institutionen dieses Landes ist. Und den damit verbundenen Werten.
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