Kolumne Macht: Schöne, einfache Mythenbildung
Charlottesville und der Kitsch der Geschichte: Im US-Bürgerkrieg ging es zunächst keineswegs um die Abschaffung der Sklaverei.
B ekanntlich sind es die Sieger historischer Konflikte, die Geschichte schreiben. Das moderne Stichwort heißt Deutungshoheit. Was allerdings nicht dasselbe bedeutet wie Wahrheit oder Gerechtigkeit, wie sich derzeit bei der Kontroverse über den richtigen Blick auf den US-Bürgerkrieg zeigt.
Angesichts des rassistischen Mobs in Charlottesville und eines Präsidenten, der den Faschisten zuzwinkert, fällt es schwer, ausgerechnet diejenigen zu kritisieren, die sich den Extremisten auf dem Weg in die Barbarei entgegenstellen. Aber es ist nötig. Denn in diesen Tagen lässt sich besichtigen, wie Mythenbildung entsteht.
Wer noch nie vom Sezessionskrieg gehört hat, hat es im Augenblick – scheinbar – leicht, die Wissenslücken aufzufüllen: Böse Sklavenhalter im Süden lehnten sich 1861 widerrechtlich gegen aufrechte Gegnerinnen und Gegner der Sklaverei in den Nordstaaten auf. 1865 siegten die Guten. So klar, so einfach, so schön. So falsch.
Marx hatte Recht
Im US-Bürgerkrieg ging es zunächst einmal keineswegs um die Abschaffung der Sklaverei. Sondern, Überraschung, vor allem um Wirtschaftsfragen. Bill Clinton – „it’s the economy, stupid“ – und Karl Marx hatten eben doch Recht.
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Die Industrialisierung in den Nordstaaten und der dadurch gestiegene Bedarf an Lohnarbeitern kollidierte mit den Interessen der Agrarstaaten im Süden. Verschärft wurde der Konflikt durch die Zollpolitik. Nordstaaten wünschten höhere Schutzzölle, um so den Absatz heimischer Industriegüter zu erhöhen. Südstaaten, die diese Güter importieren mussten, fürchteten eine massive Teuerung.
Die Menschenrechte von Sklavinnen und Sklaven? Na ja. US-Präsident Abraham Lincoln schrieb noch 1862 in einem offenen Brief an die New York Tribune: „Mein oberstes Ziel in diesem Krieg ist es, die Union zu retten; es ist nicht, die Sklaverei zu retten oder zu zerstören. Könnte ich die Union retten, ohne auch nur einen Sklaven zu befreien, so würde ich es tun.“ Erst im folgenden Jahr trat seine Proklamation in Kraft, die alle Sklaven für frei erklärte. Mit Mythenbildung haben die USA einige Erfahrung. Bis heute werden jene Siedler als die wahren Pioniere gefeiert, die 1621 in Plymouth – heute: Nordstaat Massachusetts – landeten. Die Stichworte sind bekannt: Mayflower, Kampf um religiöse Freiheit. Und irgendwie um Freiheit überhaupt.
Blöd nur: In Wahrheit wurde die – unzweifelhaft – erste dauerhafte englische Siedlung auf nordamerikanischem Boden 1607 in Jamestown gegründet, auf dem heutigen Gebiet von Virginia. Deren Bewohnern ging es um schnelle Gewinne ihrer Handelsgesellschaft Virginia Company in der Neuen Welt. Von der Geschichtsschreibung werden diese Siedler behandelt wie etwas peinliche Verwandte, die man gern ignoriert. Südstaatler halt.
Ich kann gut leben, ohne Militärs zu verehren. Für die Mehrheit der US-Bevölkerung gilt das offenbar nicht. Die Anerkennung soldatischer Leistungen ist dort Teil der Alltagskultur.
Der Südstaatengeneral Robert E. Lee war ein begabter militärischer Führer. Und ein Kind der Widersprüche seiner Zeit. Er war ein Sklavenhalter – und er nannte die Sklaverei dennoch ein „moralisches und politisches Übel“. Jetzt aber ist er der Böse, und Lincoln ist der Gute? Wer kein Rassist ist, muss es toll finden, dass seine Denkmäler bei Nacht und Nebel aus Kleinstädten entfernt werden?
Das ist alles ziemlich verlogen. Und dürfte – unter anderem – dazu führen, dass auch viele Südstaatler, die keine Rassisten sind, auf stur schalten. Weil sie sich von der offiziellen Geschichtsschreibung diskriminiert fühlen, zu Recht übrigens.
Wem nützt das? Ja, genau. Leuten wie Donald Trump.
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