Kolumne Macht: Nur ein beiläufiger Seitenhieb?
Warum die taz keineswegs das „Zentralorgan“ der Grünen ist. Ein offener Brief an den Journalisten Albrecht von Lucke.
L ieber Albrecht von Lucke, lassen Sie mich diese Zuschrift mit einer Selbstkritik beginnen: Ich finde den kritischen Beitrag fabelhaft, den Sie in der Publikation Blätter für deutsche und internationale Politik, deren Redakteur Sie sind, über die Grünen verfasst haben. Und dennoch hätte ich Ihnen vermutlich nicht geschrieben, um Ihnen zu dem Text zu gratulieren.
Sondern ich melde mich, weil ich mich über eine bestimmte Formulierung geärgert habe. Auch ich gehöre also zu den Leuten, die sich erst dann rühren, wenn sie etwas stört. Das ist ein Verhalten, das ich eigentlich nicht mag, und deshalb möchte ich doch noch einmal sagen, wie gut mir – insgesamt – das gefallen hat, was Sie über die Grünen geschrieben haben.
Damit aber nun doch zum eigentlichen Anlass meines Briefes. Sie bezeichnen in Ihrem Text die taz als „langgedientes Zentralorgan der Ökopartei“ und wundern sich darüber, dass „selbst“ dort die Frage gestellt wird, ob die Grünen noch gebraucht werden.
„Zentralorgan“. Hm. Und das, lieber Herr von Lucke, von jemandem, der ein Medium verantwortet, das bis 1989 in einem Verlag erschien, der von der SED mitfinanziert wurde. Nein, ich unterstelle nicht, dass die Blätter damit heute noch irgendetwas zu tun haben. Wahrlich nicht. Wäre es anders, dann wäre mein Vater, der Publizist Günter Gaus, nicht von 1991 bis zu seinem Tod 2004 Herausgeber derBlätter gewesen. Und er war es gerne.
Die Rechten von heute rufen „Lügenpresse“, weil sie sich durch die etablierten Medien nicht vertreten fühlen – ähnlich wie 1968 die Linken. Lesen Sie in der taz.am wochenende vom 8./9. April einen Essay über die Karriere eines Kampfbegriffs. Außerdem: Eine Reportage über einen Hotelier in Bautzen, der Flüchtlinge einziehen ließ und als Herbergsvater glücklich wurde – bis Brandsätze flogen. Und: Wie der Oscar der Glaubwürdigkeit des Schwulen-Dramas „Moonlight“ geschadet hat. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Aber ich finde dennoch, dass eine solche Geschichte des eigenen Mediums zur Vorsicht veranlassen sollte im Hinblick auf pauschale Diffamierungen. Schon klar: Es gibt keinen einfacheren – um nicht zu sagen kostengünstigeren – Weg als so einen beiläufigen Seitenhieb gegen das vermeintlich eigene Lager, um den Nachweis zu erbringen, dass man selbst ein unabhängiger Geist ist. Aber ob man deshalb wirklich die jahrelange Arbeit einer Redaktion in die Tonne treten sollte?
Es ist wahr, dass die taz und die Grünen dieselben Wurzeln haben und ihre jeweilige Gründungsgeschichte sich aus ähnlichen Motiven speiste. Vor jeweils knapp 40 Jahren. Wahr ist auch, dass die taz deshalb stets ein besonderes Interesse an den Grünen hatte und über eine gute Kenntnis ihrer Binnenstruktur verfügte. Das ist eigentlich kein Grund für Verunglimpfungen, sondern ein Hinweis auf journalistische Kompetenz. FAZ und Welt kennen die Unionsparteien gut. Wie oft haben Sie eine der beiden Zeitungen als „Zentralorgan“ bezeichnet?
Niemand muss die Zeitung, für die ich seit nunmehr 26 Jahren arbeite, lesen. Niemand muss die – teilweise erbitterten – Kontroversen, die in unserem Blatt seit Jahrzehnten geführt werden, zur Kenntnis nehmen. Im Mai 1999 (!) habe ich in der taz geschrieben: „Die Grünen sind die opportunistischste Partei Deutschlands.“ Der Kommentar wurde gedruckt. Das war für mich keine Überraschung, sondern selbstverständlich. Halten Sie das für den Regelfall in einem „Zentralorgan“?
So flüchtig, ach so flüchtig
Man kann einen kleinen Halbsatz wie den Ihren für unwichtig halten und meinen, es gebe Wichtigeres auf der Welt, als sich darüber aufzuregen. Selbstverständlich gibt es Wichtigeres, es gibt immer Wichtigeres. Aber ich finde Ihre – so flüchtig, ach so flüchtig – erscheinende Bemerkung denn doch wesentlich genug, um mich damit auseinandersetzen zu wollen.
Weil Sie ja damit nicht nur mich und die gesamte Redaktion der taz kränken, sondern zugleich, vielleicht ungewollt, einen Vorwurf von Populisten bestätigen: Wenn die taz das „Zentralorgan der Ökopartei“ ist, dann muss man sich mit ihren Inhalten nicht auseinandersetzen. Weil sie dann schlicht ein Propagandainstrument ist – anders ausgedrückt: ein Teil der Lügenpresse. Wollten Sie, lieber Herr von Lucke, das wirklich sagen?
Fragt, mit freundlichen Grüßen, Bettina Gaus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört