Kolumne Macht: Grüne Niedertracht
Jürgen Trittin ist nach der Wahlniederlage der Grünen wie ein Aussätziger behandelt worden. Und zwar von seiner eigenen Partei.
G ruppen verhalten sich oft auf eine Art und Weise niederträchtig, vor der die meisten ihrer einzelnen Mitglieder zurückschrecken würden. Schulkinder können davon erzählen, die meisten Politikerinnen und Politiker auch. Letztere haben oft selbst die unangenehme Erfahrung gemacht, wie sich Schwäche und Mobbing anfühlen, und sind unter anderem deshalb meist eher zurückhaltend, wenn es um die Demütigung von Gegnern aus den eigenen Reihen geht. Intrigant – gerne. Aber selten offen bösartig. Verlierer bekommen im Regelfall keine Kloppe, sondern Blumen.
Die Gebinde sind allerdings nicht nur Ausweis von Menschlichkeit, sondern darüber hinaus ein Gebot der Klugheit. Wer den eigenen Anhängern signalisiert, dass die Partei einen Idioten – oder gar: einen Wolf im Schafspelz – zum Spitzenkandidaten gekürt hat, empfiehlt sich nicht für künftige Wahlen.
Die Grünen waren immer stolz darauf, nicht eine Partei zu sein wie alle anderen. Jetzt haben sie bewiesen, dass die Selbsteinschätzung zutrifft. Allerdings ist „anders“ eben nicht gleichbedeutend mit „besser“. Der vormalige Spitzenkandidat Jürgen Trittin ist zum Rücktritt gezwungen und behandelt worden, als sei er ein Aussätziger. Ganz allein ist er offenbar für ein Wahlergebnis verantwortlich, das ohne überzogene Erwartungen – können wir nicht auch Kanzler? – zwar enttäuschend, aber doch akzeptabel gewesen wäre. Es gibt in der Partei viele, die den Wahlausgang für eigene Zwecke nutzen wollen.
Cäsar schlug die Gallier. „Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?“, ließ Bertolt Brecht einen lesenden Arbeiter fragen. Man weiß es nicht, aber man weiß: Jürgen Trittin hatte weder Koch noch Köchin bei sich – und schon gar keine Verbündete. Katrin Göring-Eckardt, noch bis zum Wahlabend an seiner Seite, erklärte mittlerweile: „Wir haben total übersteuert in unserem Wahlkampf.“ Vor der Verkündung des amtlichen Endergebnisses war ihr das offenbar nicht aufgefallen. Aber wer so demütig und lieb ist wie sie, darf auch künftig auf Spitzenpositionen hoffen. Trotz eingestandener Unfähigkeit.
Mal ein, zwei Gläschen Wein? Wir verharmlosen unseren Alkoholkonsum, warnen Drogenbeauftragte. Warum auch Sie Ihr Trinkverhalten vielleicht überdenken sollten, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 5./6. Oktober 2013 . Darin außerdem: Es ist nicht rassistisch, Differenzen zu benennen – sie zu verschweigen ist das Problem. Und: Der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit über Männer, Mythen und Gewalt. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Es gibt gute Gründe, weder den Wahlkampf der Grünen noch sie selbst toll zu finden. Aber es ist schäbig, wie Trittin vom Hof gejagt worden ist. So sollte eine Lebensleistung nicht gewürdigt werden, die an gemeinsamen Erfolgen einen großen Anteil hatte. Ob es ohne Trittin je für eine rot-grüne Koalition im Bund gereicht hätte? Das darf man bezweifeln.
Joschka Fischer, einstmals grüner Außenminister und heute Lobbyist der großen Energieversorger, bezweifelt das natürlich nicht. Im Wahlkampf hielt er sich sorgsam bedeckt, danach erklärte er „seiner“ Partei – und vor allem dem alten Rivalen Trittin –, was falsch gemacht worden war. Ziemlich ekelhaft. Aber da die Realos jetzt hoffen, die Partei endlich übernehmen zu können, wird Fischer nicht wie ein Egomane behandelt, sondern wie ein Elder Statesman. Es fröstelt einen.
In der nächsten Woche führt Angela Merkel erste Sondierungsgespräche mit den Grünen. Weiß sie, mit wem sie es zu tun hat? Gemessen an dem möglichen Koalitionspartner ist Horst Seehofer ein Muster an Treue.
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