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Kolumne Luft und LiebeVon Schäfchen und Storchenküken

Am letzten Donnerstag war für eine Viertelstunde alles gut. Denn wir hatten plötzlich zwei Führer weniger. Doch dann kam Heidi Klum.

Hach, die zwei Hübschen. Bild: beide dpa

F ür 15 Minuten war die Welt letzten Donnerstag eine bessere Welt. Exakt eine Viertelstunde lang waren wir alle ein bisschen freier als sonst. Es war die Zeit zwischen 20 Uhr, als der Papst zurücktrat, und 20.15 Uhr, als die neue Staffel von „Germany’s Next Topmodel“ noch nicht begonnen hatte. Oh, es war eine glückliche Zeit.

Sie war kurz, aber geil. Menschen zogen sich ihre unbequemen Schuhe aus, rissen sich die Kleider vom Leib, sie atmeten die frische, kalte Frühlingsluft wie am ersten Tag. Sie liebten einander, als gäbe es kein Morgen, und in den Augenblicken, in denen sie sich nicht gerade küssten, schoben sie sich große Pizzastücke mit sehr viel Käse in den Mund oder fütterten einander mit Nougattorte.

Millionen Menschen zogen sich Stöcke aus ihren Ärschen. Schwule Pfarrer kletterten mit ihren Lovern auf Kirchtürme und sangen „I will survive“. Mädchen, die jahrelang von ihren Kirchenchorleitern sexuell genötigt worden waren, tanzten nackt über Blumenwiesen und jonglierten mit Champagnerflaschen, während die ehemaligen Chorleiter sich in Filzläuse in den Schamhaaren eines Gorillas verwandelten. Models sprangen lachend von Laufstegen, verschenkten ihr Koks an die Penner in der U-Bahn und schlürften dicke Vanille-Milchshakes.

Margarete Stokowski

ist Autorin der taz. Sie twittert auch (@marga_owski). Wie der Papst.

„Jetzt könnte man die Sache mit dem Katholizismus elegant, gleichsam zufällig ausklingen lassen“, schlug Sibylle Berg auf Twitter vor. Oh, wenn man nur könnte! Und „Germany’s Next Topmodel“ gleich mit. Bitte.

Lächeln, winken, Mädchen quälen

Denn Heidi Klum und den Papst (egal welchen) kann man ohnehin kaum unterscheiden. Beide tragen bekloppte Kleider, reisen, lächeln und winken viel, beide haben eine Horde gepeinigter Seelen als Fangemeinde: hier die Mädchen, da die Schäfchen. Auf Twitter haben sie fast gleich viele Follower. Der Papstaccount hat, auch wenn er gerade unbesetzt ist, etwa 1,6 Millionen Follower, Heidi knapp 1,4 Millionen. (Na gut, das stimmt nicht ganz. Der allgemeine Papstaccount hat 1,6 Millionen Follower, aber es gibt noch acht weitere Accounts, in acht Sprachen. Dafür hat Heidi Klum vier Kinder, drei von ihr kreierte Parfums und eine nach ihr benannte Rosensorte.)

Beide vertreten Ideale, die unzähligen Menschen das Leben hart und hässlich machen. Der Papst verbreitet sein müffelndes Weltbild, Heidi Klum quält magere, unsichere Storchenküken, die quieken, wenn sie gelobt werden, und weinen, wenn man sie kritisiert. Das „Optisch bist du wunderhübsch“ von Heidi Klum ist das „Gesegnet seist du“ des Papstes.

In der Zeit schrieb Elisabeth Raether, Frauen seien gar nicht so lieb, wie alle denken. Frauen, so die These, können genauso schlimm und scheiße sein wie Männer: Sie können Diktatorinnen, Mörderinnen, eiskalte Verbrecherinnen sein. Wer einmal Heidi Klum und ihre „Mädels“ gesehen hat, weiß das. Wenn die Mädels zu sehr leiden, sagt Heidi: „Hab ’n bisschen mehr Spaß!“

Es ist nicht so, dass ich später meiner Tochter verbieten werde, bei „Germany’s Next Topmodel“ mitzumachen. Es ist nur so, dass sie mir versprechen müsste, vor laufender Kamera (live, unbedingt) Heidi Klum eine zu klatschen. Mutti wäre stolz.

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Margarete Stokowski
Autorin
Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff
Margarete Stokowski
Autorin
Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff
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14 Kommentare

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  • J
    Jojas

    Leute, Leute, wie kann sowas nur so ernst nehmen? Das war doch ein absichtlich alberner Vergleich. Muß man über das Für und Wider direkt wieder mit aufgeblasenen Backen und heiligem Ernst ankommen?

    Echt, ich verstehs nicht, wo kommt ihr nur alle her? Gibts euch auch im echten Leben?

     

    Man kann jedem Außerirdischen, der sich ein bißchen über die Menschheit informieren möchte, nur raten, das bloß nicht über die Kommentare bei taz.de oder SPON zu tun. Er/Sie/Es würde sich sonst glatt wieder in sein Raumschiff setzen und schnellstens das Weite suchen.

  • I
    ion

    M. Stokowski:

    "Trotzdem lese ich die Online-Kommentare, denn ich finde sie aus einem Grund interessant: Man kann den Sexisten quasi direkt ins Hirn schauen. Und das liefert mir den Stoff für neue Geschichten. – Für solche Leute schreibe ich…“"

     

    Nun denn – darf frau/mann hoffen, dass das neuerliche Nicht-Freischalten von weiteren Leserkommentaren die Einstellung der "Luft und Liebe"-Kolumne avisiert? Oder ‘reflektieren’ Sie seit Tagen über das (in anderen Gehirnen) Gesehene, deshalb aber längst noch nicht verstandene, denn dazu müsste Frau Autorin mal den eigenen Schädel aufsuchen; mit oder ohne "Nougattorte" in der Mund-Ritze:

     

    M. Stokowski (Twitter, 07.03.2013):

    "Hab so große Brüste, die passen nicht auf ein Handyfoto. Bin außerdem schon angezogen. Trage ein Sofakissen und eine Hyazinthe."

    Er muss heulen: Wow! Arme Stokowski, nicht mal voll Sexting-fähig! .... und retweetet empathisch:

    „Boah, eh! Was hab ich heute dicke Eier, ich heiße Sexismus-Tucke!“

    Sie, vor 6 Min.:

    "Zum #Weltfrauentag keine Blumen bekommen. Naja. War Frustshoppen und hab ne Motorsäge gekauft."

     

    Glückwunsch, nun steht dem frauen-emanzipatorischen Remake des: «Das deutsche Kettensägenmassaker» (aka: «Mauerfall im Brain») kaum noch etwas im Wege – ausser vielleicht die Nougattorte ‘im eigenen Saft’.

  • AI
    An Ihren Äusserungen sieht man

    dass das uneingeschränkte Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare doch nicht zwangsläufig eine gute Idee ist, Fräulein Stockowski.

    Ist mir natürlich viel wert, ihr Artikel.

  • T
    tommy

    Soll das lustig sein? Für mich deutet es eher auf eine extrem gestörte Vorstellungswelt bei Frau Stokowski hin, mit wenig Bezug zu realen Verhältnissen.

  • F
    FaktenStattFiktion

    Es ist noch ein Führer abgetreten, Hugo S. aus Südamerika.

     

    Ansonsten frage ich mich, ob dieser Artikel ernsthaft auch zu Spenden animieren soll.

  • LS
    Lea S.

    Tjaja, die Frau das friedlichere Wesen.

    Dank Frauen wie Ihnen wird es wohl nicht mehr lange dauern bis der Spruch "Frauen schlägt man nicht" Geschichte sein wird.

    Meiner Tochter werde ich dies frühzeitig klarmachen müssen. Vielen Dank dafür Frau Stokowski

    /Ironie off

  • A
    anon

    bei manchen kolumnistinnen merkt man, dass sie ihre texte nach einer durchzechten nacht und nachdem sie sich dann früh morgens auf die waage gestellt haben geschrieben haben.

  • K
    Katholik

    Das ist ja völliger Unfug, Margarete Stokowski, solche Analogien zwischen Papst und Heidi Klum zu konstruieren. Ich glaube, Sie leiden unter einem Assoziationswahn, der dann zu solchen falschen Analogien führt.

     

    Demnach könnte man z. B. auch behaupten, irgendein Papst im Mittelalter sei eine Typologie für die Heidi Klum etwa 700 bis 800 Jahre später.

  • C
    Cantona

    Sehr schöner Artikel, der beweisst auch journalismus darf lustig und ironisch sein und muss nicht ständig von tod und mord handeln. Nicht jeder versteht den Subtext leider und meint das es "wichtigere" Themen gäbe, aber vielleicht kommt der Tag an dem den Bürgern dieses Landes der Stock aus dem Allerwertesten rutscht. Bis dahin freue ich mich auf mehr solcher Artikel.

  • B
    Bambini

    Klatschen Sie Heidi Klum doch selbst eine und lassen Sie die Tochter in spe einfach ihr eigenes Leben leben. Wäre das nicht schön?

  • M
    mikeondoor

    massenspektakel allerorts, liebe margarete! nett beschrieben, auch die vergleiche stimmen... nun, ich versuche die dinge immer im kontext zu sehen: in zeiten der sinn- werte- und jobverluste, der europolitik und banksterzeiten werden brot und spiele für das volk immer wichtiger. monumentale gaga-papstauftritte, zu denen hunterttausende pilgern und die einschaltquoten einer klum bestätigen dies. und wir müssen uns die frage stellen: wäre die real existierende politikerriege mit der real existierenden politik ansonsten noch verkraftbar? segnen wir die kasper der nation, sonst hätte es bestimmt schon aufstände gegeben!

  • M
    mamute

    hervorragender artikel! solange eine solche schreibe veröffentlicht wird, ist es noch nicht zu spät! welch kreative, freigeistige, witzige sichtweise und geniale verknüpfung. danke.

  • M
    magy

    Schwachsinn, es gibt Themen die behandelt werden sollten als über die Klum zu schreiben und dann die Art und Weise wie er verfaßt wurde

  • S
    SantaMaria

    Danke Margarete Stokowski für diesen wunderbaren Artikel! Wenn es dann so weit ist und Ihre Tochter Heidi Klum live eine klatscht, lassen Sie es uns vorher wissen: Wir gehen dann zu Freunden rüber und lassen die Sendung dann auch einmal über uns ergehen!