Kolumne Lügenleser: Schafft den ESC ab!
Man mag uns nicht, auch wenn wir mit einem Manga-Kindchen kommen: Zeit, den Wolf im Wolfspelz loszulassen.
W as wäre eigentlich, wenn Hunde uns den Ball wiederbringen, weil sie denken, es macht uns Spaß, ihn zu werfen? Das könnte einiges ändern an den bestehenden Machtstrukturen. Vor allem würde es den Sinn der ganzen Unternehmung in Frage stellen. So oder so ähnlich verhält es sich auch mit dem Eurovision Song Contest. Die Deutschen denken, das Gesinge muss ihnen Freude bereiten, denn es ist eben ein Wettbewerb, da muss man mitmachen, Spaß haben und gut abschneiden. Das hat uns Vater so beigebracht. Wenn irgendwer einen Ball wirft, dann holt man den eben. Und die anderen wollen es ja auch.
Die anderen, das sind zum Beispiel diese Ostblockstaaten, die sich immer die Punkte zuschachern und ganz gemeine Dinge über ihre westlichen Nachbarn denken. Aber das Geld, das ARD und Co in Hunderten Lastwagen über die Grenze bringen und in diese unnötige Veranstaltung pumpen, das nehmen sie natürlich gerne.
„Jetzt schicken wir schon so ein völlig atypisch deutsches Manga-Kindchen und werden trotzdem Letzter. Da hilft nur noch Rammstein mit’nem Panzer auf der Bühne“, schrieb einer im Netz, der besonders wütend war. Am deutschen Wesen soll die Welt genesen, und wenn ihr nicht den Wolfs im Schafspelz nehmt, dann kriegt ihr halt nur den Wolf. Ein Kampf, bei dem man Nationalitäten gegeneinander in Stellung bringt, da gibt es nur den Endsieg. Der zweite Platz ist der erste Verlierer, das wissen wir spätestens seit Stalingrad. Doch diesmal gewinnt etwas überraschend die Ukraine, die Russen müssen sich mit der Bronzemedaille zufriedengeben.
Die RT-Fans wittern direkt die nächste Mondlandung. „Es kann ja wohl schlecht sein, dass die Mehrheit in Europa für so einen schlechten und dünnen Song gestimmt hat.“ Ja doch, genau so ist es. Denn die Mehrheit ist meistens dumm. Oder um es mit Heiner Müller zu sagen: „Zehn Deutsche sind dümmer als fünf Deutsche.“ Das gilt für fast alle Nationen. Außer für Kanadier vielleicht, die mag irgendwie jeder, von Pegida bis Michael Moore.
Der neue Stellvertreterkrieg
Und plötzlich wissen sie alle, von der freiwilligen Putin-Jugend bis zum Feuilleton: Das war keine musikalische Entscheidung. Hier geht es um Politik. Sonst soll es eigentlich nie um Politik gehen in Deutschland, weder beim Echo noch in den Fußballstadien. Da mag man es eher „unpoliddisch“ und bierselig. Doch der ESC ist in den letzten Jahren quasi zum neuen Stellvertreterkrieg zwischen der Nato und dem Warschauer Pakt mutiert. Mit reichlich Verspätung zwar, aber immerhin.
ESC 2016 – Das war's
„Annektion [sic!] der Krim durch Russland war nicht in Ordnung, jedoch nur die Reaktion auf die antirussische Hetzjagd amerikahöriger Medien, auch in Deutschland. Der ESC war wieder ein Akt der Provokation des Westens adressiert an Russland“, weiß ein weiterer Internet-Experte. Und weil euch das alle so arg beschäftigt und quält, gibt es nur eine Lösung um den Volkszorn herunterzukochen: Der ESC muss abgeschafft werden. Zum Wohle des Landes. Die deutsche Volksseele verkraftet diese Demütigungen einfach nicht mehr. Danke für nix, Angelika Merkel!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Filmförderungsgesetz beschlossen
Der Film ist gesichert, die Vielfalt nicht