Kolumne Liebeserklärung: Skinny Love
Zeit für den Abschied: Nach jahrelanger Modeherrschaft tritt die Skinny Jeans den Rückzug an. Protokoll einer unglücklichen Liebe.
L iebe Skinny Jeans, du hast mich tausendmal belogen, weißt du das? Jedes verdammte Mal, wenn ich versuchte, meine untere Körperhälfte – von der ich eigentlich dachte, sie sei eher durchschnittlich geformt – in dich hineinzuzwängen, endete es in grober Enttäuschung.
Entweder kam ich nur bis knapp über die Kniescheibe. Oder ich fiel wie ein Brett einfach um, weil du meine Knöchel umklammert hieltest. Oder aber ich kam tatsächlich hinein – um dann festzustellen, dass ich in dir aussah, als hätte ich ein eher durchschnittlich geformtes Stoppschild verschluckt.
Kurzum, mit uns beiden verhielt es sich wie mit den meisten verzweifelt Liebenden. Ich war sehr lange sehr unglücklich mit dir. Ich wusste, dass wir einfach nicht füreinander gemacht waren. Und trotzdem hörte ich nie auf, dich anzubeten. Nicht mal dann, wenn du, an eine andere geschmiegt, an mir vorübergingst und ihr offensichtlich viel besser zusammenpasstet, als ich es mir bei uns je hätte erträumen können.
Der Grund dafür ist ebenso simpel wie gewöhnlich: Du siehst einfach unfassbar gut aus. Und: Du bist ein Arschloch.
Denn ich bin nicht die Einzige, die du geblendet hast. Tausende junger und nicht mehr ganz so junger Frauen (und Männer!) himmelten dich in den letzten zehn Jahren an. Sie gaben ihr letztes Geld für dich aus und verdrängten deine schlechten Eigenschaften, etwa das Phänomen muffin top – Hüftfett, das über den Hosenbund quillt.
Vor allem Jüngere quälten sich mit Selbstzweifeln, ob sie schlank und cool genug für dich seien. Denn sah man dich einmal an deiner besseren Hälfte – dem Supermodel –, warst du so umwerfend, dass man alles für dich getan hätte. Wie das eben so ist mit jugendlicher Liebe.
Ja, es war eine bittersüße Zeit mit dir. Aber jetzt ist es vorbei: Bei der Fashion Week gab es kürzlich eine Podiumsdiskussion, die dich zum Thema hatte. Ein deutlicheres Zeichen, dass eine Mode zu Ende geht, gibt es nicht. Auch ich bin erwachsen. Zeit für einen Neuanfang: mit Boyfriend-Jeans. Denn die meint es wenigstens ernst.
Adieu, Schönheit!
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Die Neuen in der Linkspartei
Jung, links und entschlossen
Krisentreffen nach Sicherheitskonferenz
Macron sortiert seine Truppen
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär