Kolumne Landmänner: Show must go on

Wer ordentlich Grölsongs fabriziert, darf auch auf dem Land schwul sein.

Freddie Mercury war auf dem flachen Land der wohl größte Botschafter für die schwule Sache: Selbst der hartgesottenste Fußballfan, der gröbste Proll und der rüpeligste Bauer konnten einem Mann, der der Welt solch wunderbare Grölsongs wie "We are the Champions" oder "I want to break free" nicht ernsthaft böse sein, egal was der so im Bett trieb.

Der Freddie, der war schon irgendwie in Ordnung, und dass ausgerechnet er an dieser schrecklichen Krankheit sterben musste, das tat ihnen dann schon auch leid. Noch heute bekommt man von solchen Jungs knochenkrachende, freundliche Schläge auf den Rücken: "Der Freddie war doch auch einer von euch."

Genau zwanzig Jahre ist das jetzt her: Mercury starb an einer Lungenentzündung - einen Tag nachdem er öffentlich gemacht hatte, dass er positiv auf HIV getestet worden war. "Show must go on", das war sein Schwanengesang. Just zwanzig Jahre später liegt ein anderer Poptitan aus jenen Tagen, in denen "Sound" noch eine wichtige Kategorie war und der Begriff MP3 noch nicht in aller Munde, mit Lungenentzündung in einem Wiener Krankenhaus: Es handelt sich um den "bekennenden Homosexuellen" George Michael.

Und was schwurbelt, murmelt und raunt die Bild? Etwas von wilden Tagen der Vergangenheit mit Klappen- und Parksex und einer eventuellen Grunderkrankung mit drei oder vier großen Buchstaben, deren mit Sünde-Pest-Schuld kontaminierten Namen man aber lieber nicht ausspricht.

Wahrscheinlich ist George Michael einfach nur erschöpft nach den ersten 45 Konzerten seiner aktuellen Tournee und hat sich was gefangen - so wie derzeit die halbe Republik. Das Verrückte aber ist, das die öffentliche Wahrnehmung von HIV und Aids ungefähr Anfang der Neunziger stehen geblieben zu sein scheint, also bei den Fotos von Freddie Mercury mit roten, entzündeten Augen. Oder gar bei Rock Hudson, der sich 1985 einen kompletten Air-France-Jumbo chartern musste, um von Paris zurück in die USA fliegen zu können - sämtliche Fluggesellschaften hatten sich geweigert, ihn zu transportieren.

Die Betroffenen selbst - zumindest in den westlichen Ländern - leben längst in einer anderen Realität. Seit Einführung der Dreifach-Kombinationstherapie im Jahr 1996 müssen HIV-Positive wieder an ihre Rentenversicherung denken, können in der Regel ihrem Beruf nachgehen, sind, so sie unter Behandlung stehen, auch nicht mehr infektiös. Von einem "neuen Aids" spricht längst der Sexualforscher Martin Dannecker. "Neues Aids", schon mal gehört?

Wahrscheinlich nicht, und das liegt auch an dem Schweigen der Betroffenen, die ihre Erkrankung meist verbergen: Zu groß ist das Stigma, die leider total berechtigte Angst vor Ausgrenzung - auch innerhalb der schwulen Szene - und Nachteilen im Beruf.

Überhaupt ist bei vielen Schwulen ein großes Schweigen zu beobachten, denn geschätzt wird in der Mitte der Gesellschaft der nette, irgendwie total normale Homosexuelle, der in einer festen, möglichst monogamen Partnerschaft lebt, eigentlich auch ganz gern Kinder hätte und wie alle anderen auch zwischen Bioladen, Ikea und Caffè-Latte-Geschäft vor sich hin dämmert. Anders sein nervt nämlich, weshalb nächtliche Parks, Pornos, Tunten, HIV, Depressionen, homophobe Übergriffe und Dildos lieber beschwiegen werden. Show must go on.

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* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

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