Kolumne Knapp überm Boulevard: Willkommen in der Führerdemokratie
Der neue Autoritarismus hat keine pädagogische Mission. Der Bürger darf mangelhaft sein, denn daraus legitimiert sich Herrschaft durch Kränkung.
J a, es ist sinnvoll von Populismus zu sprechen. Dies sei all jenen gesagt, die meinen, der Begriff werde so inflationär gebraucht, dass er keine Bedeutung mehr habe. Der häufige Gebrauch liegt am häufigen Vorkommen des Phänomens. Und die Bedeutung des Begriffs ist nicht nur präzise, sondern auch notwendig, um den Unterschied zu anderen Phänomenen dieser Art zu markieren. Etwa zum Faschismus.
Wir erleben derzeit nicht nur Populismus als Gegenbewegung, als Opposition – es ist auch Populismus an der Macht. Nicht nur in Russland, der Türkei oder den USA. Auch mitten in Europa. Da ist etwa Viktor Orbán in Ungarn – und andere sind schon ante portas. Dort, wo der Populismus an die Macht kommt, entwickelt er eine eigene Form von autoritärer Herrschaft: Die jüngste Rückkehr des Autoritarismus ist nicht das Wiederauftauchen des alten, sondern das Auftreten eines neuen Autoritarismus. Und auch da braucht es einen Begriff, der die Unterschiede markiert, einen Begriff, der diese spezifische Form von Herrschaft erfasst. Und dieser Begriff lautet: Führerdemokratie. Das ist die Herrschaftsform von Populismus an der Macht.
Führerdemokratie meint jenes Demokratiegespenst, das nur mehr die Fassade für eine autoritäre Herrschaft abgibt. Aber dieser Autoritarismus ist nicht einfach eine Diktatur: Es ist nicht eine Herrschaft durch Zwang, sondern vielmehr eine Herrschaft durch Zustimmung. Auch wenn Zwang eingesetzt werden mag, um diese Zustimmung herzustellen. Etwa, indem man vor einem Referendum Journalisten einsperrt, bei Referenden, wo kein „Nein“ vorgesehen ist.
Das ist nicht demokratisch, sondern führungsdemokratisch. Da geht es um die Herstellung von Zustimmung, von direkter Verbundenheit zwischen Volk und Führer. Ohne institutionelle Umwege. Und darum, den gesellschaftlichen und politischen Ausnahmezustand auf Dauer herzustellen. Jenen Zustand, in dem der neue Autoritarismus gedeiht: die permanente Mobilisierung der Gesellschaft.
Sündenbock ist oft der Liberalismus
Wie das funktioniert? Zunächst wird ein Feind ausgemacht – ein Feind, der die Nation angeblich bedroht, kränkt, zerstört. In den meisten Fällen ist das heute die EU – als Machtblock, als Synonym für Liberalismus. Wesentlich ist, dass die Feindkonstruktion der Nation gewissermaßen vorangeht. Mit dem „Feind“ wird die längst geschwächte Nation erst wiederbelebt. Wie bei einem Taschenspielertrick – in der Abwehr der vermeintlichen Aggression oder Kränkung wird die erodierende Nation konsolidiert.
Ein wesentlicher Punkt dabei ist, dass nationale Identität eine Auszeichnung bedeutet, die man ohne jegliche Gegenleistung erhält. Daraus folgt ein weiteres wesentliches Moment der Führerdemokratie. Der alte Autoritarismus hatte eine pädagogische Mission. Er wollte seine Subjekte verändern: sie erziehen, formen, einem Ideal angleichen – dem „neuen Menschen“. Egal, welchem Idealbild man huldigte, immer ging die Transformation der nationalen Subjekte mit deren Disziplinierung einher: sowohl mit äußerer als auch mit innerer, mit Selbstdisziplinierung.
Der neue Autoritarismus hingegen hat keinerlei pädagogische Mission. Er hat kein Ideal, an das er die Leute anpassen möchte. Es geht ihm vielmehr darum, seine Subjekte eben nicht zu verändern. Sie vielmehr als das zu bestätigen, was sie sind. Für das, was sie ohne Eigenleistung sind – nationale Subjekte. Und in der Art, wie sie es sind: mit allen Mängeln. Denn der Mangel und die damit einhergehende vermeintliche Kränkung sind ja der Hebel der Führungsdemokratie – ob bei Putin, Erdoğan oder Orbán. Die Kränkung ist ihr Instrument, nicht die Disziplinierung der Gesellschaft.
Wenn im neuen Autoritarismus die Gesellschaft also mobilisiert wird, wenn die Mobilisierung auf Dauer gestellt wird, so bedeutet das doch – im Unterschied zum alten Autoritarismus – keine Militarisierung der Gesellschaft. Es braucht nicht viel Fantasie, sich das entsprechende gesellschaftliche Gewaltmodell vorzustellen.
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