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Kolumne Knapp überm BoulevardJe brutaler, desto frommer

Isolde Charim
Kolumne
von Isolde Charim

Auch wenn sich die Stimmen mehren, die das verneinen: Religion ist die Sprache, in der sich Dschihadisten artikulieren – und das nicht rein zufällig.

Flagge der IS in Rawah, knapp 300 km von Bagdad entfernt. Bild: ap

I st der Islamische Staat (IS) ein religiöses Phänomen? Die Stimmen, die das verneinen, mehren sich. Es sind meist Muslime, die ihre Religion darin nicht wiedererkennen. Der Politologe Farid Hafez etwa sieht im IS vor allem eine jugendkulturelle Erscheinung mit popkulturellen Attributen – vom IS-T-Shirt bis zur Videoästhetik. Im Unterschied zum Islamismus, der noch einer entwurzelten Moderne angehörte, sei dieser Dschihadismus ein postmodernes Phänomen – eine bricolage unterschiedlicher und widersprüchlicher Versatzstücke.

Ein kluger Befund. Aber dennoch lässt sich das religiöse Moment beim IS nicht so leicht durchstreichen. Die Dschihadisten mögen keine Theologen sein, aber die Religion ist die Sprache, in der sie sich artikulieren. Und das keineswegs zufällig. Die Religion – wie verzerrt auch immer – hat eine Funktion für sie.

Mit den Dschihadisten trat eine Figur hervor, die man politisch als „Partisan“ einordnet. Ein wichtiger Theoretiker des Partisanentums ist Carl Schmitt. Und der „Kronjurist der Dritten Reichs“ hat auch für postmodernen Faschismus Relevanz. Bei Carl Schmitt eröffnet erst der Legitimitätsverlust bestehender politischer Formen den Raum für die Figur des Partisanen. Erst ein Machtverlust oder ein Machtvakuum ermöglicht den irregulären Kämpfer. Im Unterschied zum Soldaten einer Armee, der ein berechtigter Waffenträger ist, ist der Partisan irregulär in dem Sinn, dass er seine Waffen ohne Berechtigung trägt.

Mit der Idee einer „Berechtigung“ soll nicht die Grausamkeit des Tötens verleugnet werden. Aber das Machtmonopol des Staates – so problematisch es auch sein mag – ist zumindest an etwas gebunden: an Regulierungen. Irreguläre Kämpfer agieren jenseits davon. Damit steht aber mit dem Partisanentum der Kern des modernen Staatskonzepts auf dem Spiel: die Hegung von Konflikten. Die Vorstellung also, dass gesellschaftliche Konflikte begrenzt werden – im Politischen und im Militärischen. Die Vorstellung also, auch in eine Ausnahmesituation wie Krieg eine Art von Ordnung zu bringen. Natürlich gibt es immer wieder Verstöße gegen das Kriegsrecht. Aber beim Partisanen geht es nicht um eine Übertretung. Der Partisan ist die grundlegende Infragestellung des Kriegsrechts.

Übertretung des Staatlichen

Beim Dschihadismus ist der Kampf gegen die Gegner zugleich auch ein Kampf gegen die Regulierung der Kriegsführung, eine Kampf gegen diese Form der staatlichen Ordnung. Dschihadismus ist auch ein Krieg gegen Hegungen des Krieges. Herfried Münkler hat dies auf den beängstigenden Punkt gebracht: „Die Staaten sind nicht mehr die Herren des Krieges.“ Die Folge davon ist eine völlige Entgrenzung von Gewalt. Und da wird die Religion wichtig.

Warum artikuliert sich diese enthemmte Gewalt in einer religiösen Sprache? Es gibt die langen Bärte, die frommen Sprüche und vor allem die mittelalterlichen Hinrichtungsarten trotz modernster Waffen. Durch diese Beschwörung der Vergangenheit versuchen sie, in einer „Hermeneutik der radikalen Gleichzeitigkeit“ (Friedrich Wilhelm Graf), direkt an ihre religiöse Quelle anzudocken. In entlehnten Kostümen und mit geborgter Sprachen, wie es bei Marx heißt, inszenieren sie eine imaginierte religiöse Urszene, die sie zu berechtigten Nachfolgern machen soll. Dies soll sie als Gotteskrieger legitimieren. Solches Einschreiben in die Tiefe und Kontinuität der Zeit entspricht genau dem, was Schmitt unter Legitimität versteht.

Perverse Legitimierung

Der IS schlachtet nicht nur, er will und braucht auch eine Legitimierung dafür. Das Perverse ist, dass er diese Legitimität aus der Gewalt selbst bezieht: Die Gewalt gegen eine angeblich sündhafte Welt im Dienste einer „Gottesordnung“ liefert ihm diese Legitimität. Das heißt dann: je brutaler, desto frommer.

Zugleich ist diese Legitimität aber jener des modernen Staates, also den Formen der Hegung, genau entgegengesetzt. Man kann nur hoffen, dass der IS gestoppt wird. Aber das Problem, das mit ihm aufgebrochen ist, wäre damit noch nicht gelöst: Ordnung im Sinne des modernen Staates als Weg zur Befriedung der Region ist gescheitert.

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8 Kommentare

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  • D
    D.J.

    Insgesamt ein guter Artikel. Aber ich befürchte, dass viele so furchtsam sind, dass sie sich - auch wenn es noch so absurd erscheint -, weigern, den religiösen Aspekt anzuerkennen und statt dessen sich auf bekannte Phrasen zurückziehen ("wir allein sind schuld", "nur Folge des Kapitalismus", "mehr Chancen bieten"). Altbekanntes Muster: Das Unerwartete erscheint als Folge des eigenen Handelns und ist daher scheinbar steuerbar (Vormoderne z.B.: Naturkatastrophen und Seuchen Folgen der Sünden).

    Zum Thema irreguläre Kämpfer. Nicht neu. Schon die frühislamische Geschichte kennt die Ghazis, die mehr oder minder selbstständig eine ghazwa (davon Razzia abgeleitet) an den Grenzen zur nichtislamischen Welt unternehmen. Die Interpretation vom Dschihad, die sich weitgehend für die traditionelle sunnitische Scharia durchgesetzt hat, spricht davon, dass, wenn es die islamische Obrigkeit lange verabsäumt, zum Dschihad aufzurufen, die Frommen, denen dies möglich ist, auf eigene Faust handeln sollen. Die ISIS-Führer haben übrigens durchaus Kenntnisse in solchen traditionellen islamischen Rechtsfragen. Man darf sie auch darin nicht unterschätzen.

    • @D.J.:

      So ist es. Die einem protestantisch geprägten Westen mittlerweile eigene Obsession, immer und ausschliesslich die Schuld zuerst einmal bei sich zu suchen, wird hier an ihre Grenzen geführt. Jedes Nachgeben des Westens wird vom Islam als indirektes Schuldeingeständnis interpretiert und führt zu keiner Befriedung, im Gegenteil.

      Solange die Anderen die gottgegebene Überlegenheit des Islams nicht anerkennen, wird er natürlich ständig narzisstisch gekränkt. Darüberhinaus habe ich den Eindruck, dass die schon neurotische Suche nach Beleidigungen notwendigerweise zum Islam dazugehört. Nur so kann er seine innewohnenden Aggressionen legitimieren. Zusammenfassend: Der Islam gehört vielleicht nicht nach Deutschland, in jedem Fall aber auf die Couch - und das meine ich nicht polemisch.

  • "Auch wenn sich die Stimmen mehren, die das verneinen: Religion ist die Sprache, in der sich Dschihadisten artikulieren – und das nicht rein zufällig. "

     

    Sehr wahr gesprochen. Es ist allerdings nicht Religion im Allgemeinen, sondern Islam im Besonderen - und auch das ist nicht zufällig.

    Keiner anderen Religion ist die Abwertung aller anderen Nicht- und Ungläubigen so eingeprägt wie dem (auch "moderaten") Islam. Daraus resultieren Omnipotenzphantasien bzw. das latente Beleidigtein, wenn andere diese eingebildete Überlegenheit nicht anerkennen wollen.

    Diese Delegitimierung der "Anderen", der Terror gegen diese bzw. alle Vorstufen auf dem Weg dahin ist mit dieser Religion/Kultur verschränkt.

     

    Fast jeder Gewalttäter braucht für seine Affektabfuhr immer noch eine moralische Rechtfertigung, eine gefühlte Billigung durch sein spezifisches Umfeld - die einzige Weltreligion, die das liefert, ist der Islam.

    • @Huitzilopochtli:

      Naja... auch steht im Koran: "Ehre Juden und Christen, denn sie haben ein Buch"

      Wie immer ist alles Auslegungssache.

      • D
        D.J.
        @Guy Incognito:

        Ja, die frühen, mekkanischen Verse sind noch freundlich, während die medinensischen immer hasserfüllter werden. Islamwissenschaft 1. Semester.

        Die klassischen islamischen Rechtsgelehrten haben eher die späteren rezipiert. Übrigens auch mit dem Effekt, dass im Gegensatz zu Juden und Christen "Götzenanbetern" (muschrikun) kein Existenzrecht zugesprochen wird. Derzeit aktuell im Umgang mit Yeziden.

    • @Huitzilopochtli:

      Das Copright für die "Abwertung aller anderen Nicht- und Ungläubigen" liegt bei Mätthäus 28, 18 (http://tinyurl.com/nlwz4eq). Ehre wem Ehre gebührt.

      In einer langen Transformationsgeschichte ist auf dem Boden jüdisch-christlicher Vorstellungen schliesslich der Kapitalismus entstanden. Die gefühlte Billigung für Gewalttaten in diesem System lässt sich monetär ausdrücken.

      • D
        D.J.
        @Delphina Jorns:

        Oh, eine Hobby-Universalhistorikerin. Die Abwertung des Anderen ist trotz mancher Gegentendenzen so alt wie die Zivilisation (wohl älter, aber in Ermangelung schriftlicher Quellen nicht nachzuvollziehen), marxistisch gesprochen mindestens so alt wie die Klassengesellschaften. Ägyptische und Sumerische Texte sind voll davon, ebenso natürlich das Alte Testament. Das NT steht prinzipiell in dieser Tradition, fordert aber nicht den bewaffneten Kampf gegen die Anderen, sondern Duldamkeit (man würde heute von passiv-aggressivem Verhalten sprechen).

        Ihr Bogen zum Kapitalismus ist amüsant, aber ich befürchte, weder Karl Marx noch Max Weber wären stolz auf`Sie.