Kolumne Knapp überm Boulevard: Je brutaler, desto frommer
Auch wenn sich die Stimmen mehren, die das verneinen: Religion ist die Sprache, in der sich Dschihadisten artikulieren – und das nicht rein zufällig.
I st der Islamische Staat (IS) ein religiöses Phänomen? Die Stimmen, die das verneinen, mehren sich. Es sind meist Muslime, die ihre Religion darin nicht wiedererkennen. Der Politologe Farid Hafez etwa sieht im IS vor allem eine jugendkulturelle Erscheinung mit popkulturellen Attributen – vom IS-T-Shirt bis zur Videoästhetik. Im Unterschied zum Islamismus, der noch einer entwurzelten Moderne angehörte, sei dieser Dschihadismus ein postmodernes Phänomen – eine bricolage unterschiedlicher und widersprüchlicher Versatzstücke.
Ein kluger Befund. Aber dennoch lässt sich das religiöse Moment beim IS nicht so leicht durchstreichen. Die Dschihadisten mögen keine Theologen sein, aber die Religion ist die Sprache, in der sie sich artikulieren. Und das keineswegs zufällig. Die Religion – wie verzerrt auch immer – hat eine Funktion für sie.
Mit den Dschihadisten trat eine Figur hervor, die man politisch als „Partisan“ einordnet. Ein wichtiger Theoretiker des Partisanentums ist Carl Schmitt. Und der „Kronjurist der Dritten Reichs“ hat auch für postmodernen Faschismus Relevanz. Bei Carl Schmitt eröffnet erst der Legitimitätsverlust bestehender politischer Formen den Raum für die Figur des Partisanen. Erst ein Machtverlust oder ein Machtvakuum ermöglicht den irregulären Kämpfer. Im Unterschied zum Soldaten einer Armee, der ein berechtigter Waffenträger ist, ist der Partisan irregulär in dem Sinn, dass er seine Waffen ohne Berechtigung trägt.
Mit der Idee einer „Berechtigung“ soll nicht die Grausamkeit des Tötens verleugnet werden. Aber das Machtmonopol des Staates – so problematisch es auch sein mag – ist zumindest an etwas gebunden: an Regulierungen. Irreguläre Kämpfer agieren jenseits davon. Damit steht aber mit dem Partisanentum der Kern des modernen Staatskonzepts auf dem Spiel: die Hegung von Konflikten. Die Vorstellung also, dass gesellschaftliche Konflikte begrenzt werden – im Politischen und im Militärischen. Die Vorstellung also, auch in eine Ausnahmesituation wie Krieg eine Art von Ordnung zu bringen. Natürlich gibt es immer wieder Verstöße gegen das Kriegsrecht. Aber beim Partisanen geht es nicht um eine Übertretung. Der Partisan ist die grundlegende Infragestellung des Kriegsrechts.
Übertretung des Staatlichen
Beim Dschihadismus ist der Kampf gegen die Gegner zugleich auch ein Kampf gegen die Regulierung der Kriegsführung, eine Kampf gegen diese Form der staatlichen Ordnung. Dschihadismus ist auch ein Krieg gegen Hegungen des Krieges. Herfried Münkler hat dies auf den beängstigenden Punkt gebracht: „Die Staaten sind nicht mehr die Herren des Krieges.“ Die Folge davon ist eine völlige Entgrenzung von Gewalt. Und da wird die Religion wichtig.
Warum artikuliert sich diese enthemmte Gewalt in einer religiösen Sprache? Es gibt die langen Bärte, die frommen Sprüche und vor allem die mittelalterlichen Hinrichtungsarten trotz modernster Waffen. Durch diese Beschwörung der Vergangenheit versuchen sie, in einer „Hermeneutik der radikalen Gleichzeitigkeit“ (Friedrich Wilhelm Graf), direkt an ihre religiöse Quelle anzudocken. In entlehnten Kostümen und mit geborgter Sprachen, wie es bei Marx heißt, inszenieren sie eine imaginierte religiöse Urszene, die sie zu berechtigten Nachfolgern machen soll. Dies soll sie als Gotteskrieger legitimieren. Solches Einschreiben in die Tiefe und Kontinuität der Zeit entspricht genau dem, was Schmitt unter Legitimität versteht.
Perverse Legitimierung
Der IS schlachtet nicht nur, er will und braucht auch eine Legitimierung dafür. Das Perverse ist, dass er diese Legitimität aus der Gewalt selbst bezieht: Die Gewalt gegen eine angeblich sündhafte Welt im Dienste einer „Gottesordnung“ liefert ihm diese Legitimität. Das heißt dann: je brutaler, desto frommer.
Zugleich ist diese Legitimität aber jener des modernen Staates, also den Formen der Hegung, genau entgegengesetzt. Man kann nur hoffen, dass der IS gestoppt wird. Aber das Problem, das mit ihm aufgebrochen ist, wäre damit noch nicht gelöst: Ordnung im Sinne des modernen Staates als Weg zur Befriedung der Region ist gescheitert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch