Kolumne Kapitalozän: Verteidigt den Standort Deutschland!
Der Standort Deutschland ist in Gefahr! Wegen Diesel und Autokartell. Schadenfroh? Nein. Linksökos brauchen die Knete, darum: Kämpft!
Horden von sabbernden Zombies stürmen hirnlos gegen das Werkstor des Daimler-Motorenwerks Untertürkheim: mutierte Ökos, assimilierte Chinesen, Kalifornier, deren sonnengebräunte Haut in Fetzen von ihren Leibern herabhängt.
Doch die Schwaben kämpfen! Die Frühschicht katapultiert das Automatikgetriebe 7G-Tronic in die anstürmenden Untoten, Azubis schwingen Achsen gegen faulige Schädel, die Jungs aus der Gießerei feuern mit glühendem Motorenstahl.
Mittendrin Dieter Zetsche. Heroisch! Verspricht zehn Prozent Gewinnbeteiligung. Doch, oh nein, eine Horde Tesla-Ingenieure beißt ihn tot. Der Betriebsrat will zwölf Prozent. Er wird zerfleischt.
Potzblitz, auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann vor Ort! Schlüsselindustrie retten. Schlägt einen runden Tisch vor, wird aber ratzfatz mit Stumpf und Haar gefressen. Und da, die Hendricks, Barbar Hendricks. Ein Zombie beißt sie, sie mutiert zur Oberzombiene, direkt neben Alexander Dobrindt (CSU), Hendricks fällt den Verkehrsminister an, frisst sein Herz, noch pochend.
Angela Merkel ist auch da. Mutig? Sie steht teilnahmslos in der Menge und macht die Raute. Ich neben ihr. Ich schüttel sie und schüttel sie und brülle sie an. Ich brülle: „Frau Merkel, Frau Merkel, der Standort Deutschland ist in Gefahr, der Standort, der Standort.“ Dann packt mich das Dobrindt (CSU), frisst mein Herz.
Alternativ sein braucht Luxus
Ich wache auf. Draußen der Regen. Nacht. Starre die Zimmerdecke an. Mein Unterbewusstsein hat mir eine schreckliche Wahrheit übersandt: Ich liebe den Standort Deutschland!
Sie können sich gar nicht vorstellen, was es für eine linke Leberwurst wie mich bedeutet, sich das einzugestehen. Standort Deutschland, das war immer eine aschgraue, klebrige Nationalscheiße, uneuropäisch, unsolidarisch, unwissend, weil wir doch alle globalisiert sind.
Ich träumte einst von zerfallenen Wolfsburger VW-Werken, von einstürzenden Münchner BMW-Bauten, von inhaftierten Stuttgarter Daimler-Chefs. Träumte von Porsches und Mercedes und VWs (außer VW-Busen, die sind cool) aller Arten und aller Zeiten, die wir zu Bergen aufschichten und anzünden, als gigantischen, nationalen Exorzismus gegen den Dämon der Automobilität.
Aber alternativ sein braucht Luxus. Wie will man denn ohne Autobauer noch linksökologisch sein, in diesem unserem Lande? Wer zahlt den Punks die Nietenjacken, wenn Papa nicht mehr Abteilungsleiter ist? Woher wollen unsere LeserInnen 50 Tacken den Monat nehmen, um ‚ne Zeitung zu zahlen?
Das Kapitalozän ist die linksökologische Erweiterung des Anthropozäns. Demnach ist es nicht der Mensch an sich, der Ánthropos, der den Planeten geologisch verändert. Nein, es sind die Kapitalisten. Schließlich können, global gesehen, die meisten Menschen nichts für die Naturzerstückelung.
Ohne Wohlstand ist mein Leben bedroht. Eine allzeit zur Dialektik fähige Nation braucht gute Autogehälter für Biosupermärkte und artgerechte Hühneraufzucht. Oder wollen Sie wirklich ernsthaft anfangen, den ganzen Scheiß ernst zu nehmen, über den Sie sich den ganzen Tag aufregen? Also Karre verkaufen, nicht mehr fliegen, bescheiden leben und so. Wir sind doch keine Buddhisten. Eat the rich? Eat yourself.
Wir haben hierzulande den Kapitalismus und den Marxismus erfunden, den Überfluss und die Tofuwurst. Jetzt erfinden wir eben nach dem Autokartell das Ökoautokartell und hauen die verdammten Chinesen mit ihren peinlichen Elektrorollern vom Markt und zeigen diesen Google-Tesla-Apple-Nerdfressen mal, wo das deutsche Wirtschaftswunder hängt.
Ich meine, seien Sie mal ein bisschen flexibel. Paar Stickoxid-Dieselopfer musste halt in Kauf nehmen, die 3.400 Verkehrstoten im Jahr stören doch auch niemand. Das ist die nationale Opfergabe für den STANDORT DEUTSCHLAND.
Die Nazis haben der ganzen Welt verklickert, sie hätten die besten Panzer und überhaupt die beste Technik, was bis heute das letzte intakte Erbe von Goebbels‘ Propaganda ist. Seitdem glaubt der ganze verdammte Planet an die Genialität deutscher Ingenieurskunst. Dieses nationale Erbe sollten wir jetzt nicht kleinlich wegen eines Kartellchens verspielen.
Lasst uns die Reihen schließen. Autobauer, Umweltheinis, Grüne, CSU, Genossinnen und Genossen, Parteifreunde, HedonistInnen, JoggerInnen, Schwarzbrotfresser, AngelscheininhaberInnen und Kugelgrillbesitzer: Wir sind die Autonation! Ab ans Fließband! Wir werden siegen!
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Die Neuen in der Linkspartei
Jung, links und entschlossen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau