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Kolumne Jung und DummHochkonjunktur für Scheißereden

Adrian Schulz
Kolumne
von Adrian Schulz

Seehofer ist ganz schlimm, die AfD hat ein Recht auf O-Töne und niemand kennt die wahre Marktdynamik der Elektromärkte.

Bundeskanzlerin Merkel beim verregneten „Tag der kleinen Forscher“ in Berlin am 21. Juni Foto: dpa

D as Phänomen des Scheißeredens hat wieder Hochkonjunktur, war aber nie eigentlich weg. Ich bekenne mich indirekt schuldig und behaupte: In meiner Generation ist es am stärksten verbreitet, erfolgt jedenfalls am wenigsten verschämt.

Kein Wunder: Junge Leute müssen heute das Selbstbewusstsein eines kaputten Sumo-Ringers ausstrahlen, den selbst die Ahnung seines unmittelbar bevorstehenden Herztodes kaltlässt. Eine Gesellschaft verräumlicht ihre Verkommenheit und ihre sensibelsten Mitglieder wundern sich noch, wenn sie sich von Redemüll begraben finden. Ganz schön ekelhaft, das alles.

Zu den erfreulicheren, weil immerhin lehrreichen Ausstößen der gerade untergehenden, ersten überhaupt so richtig jugendlich gewesenen Generation (dies vermutlich, weil sie, darin ebenfalls Avantgarde, durchgängig nicht mehr durch elterliche Schläge härtend abgedichtet wurde) gehört die Rubrik „Unnützes Wissen“ in der gerade versunkenen Zeitschrift Neon.

Darin erfuhr man zum Beispiel, dass Kabeljaue mit dem Alter fruchtbarer werden oder der Penis eines Blauwals zweieinhalb Meter lang ist. Wenn unsere Bildungskarriere nicht genau aus der Verinnerlichung solcherlei, wiewohl meist ins Lebensweltlich-Menschelnde gewandelten Unrats bestünde – und deshalb vermutlich ein unabhängiges, nicht mit der geballten Rotorenkraft allumfassender Institutionen gesegnetes Beregnungsmedium obsolet werden lässt –, könnte man ihm sogar jene erfrischende und ja auch programmatische, von Nützlichkeitserwägungen ferne Erstarrtheit attestieren, die ein Moment der Befreiung besäße. Seltsamerweise erkennt man sowas immer erst dann, wenn es zu spät ist.

Merkel muss dem Affen keinen Zucker geben

Was wir, im Gegensatz zu Euch, unnützerweise auch wissen, ist, dass die Konkurrenz zwischen den beiden größten deutschen Elektromärkten, „Media Markt“ und „Saturn“, nur zum Schein erfolgt; in Wahrheit gehören sie zu ein und demselben Konzern.

Genauso übrigens wie CDU und CSU. In der überschäumenden Politinformiertheit erstaunlich vieler Generationsgenossen (immerhin ist WM, da schaut man automatisch öfter mal die „Tagesschau“) und sogar richtig erwachsener Medienmedien, irgendwo muss das Scheißereden ja herkommen, findet dieser Fakt erstaunlich wenig Beachtung. Ich weiß nicht, wie viele Linke ich in den letzten Tagen gehört oder gelesen habe, die Horst Seehofer für einen hundsgemeinen Hitler halten, der jetzt einfach bitte einmal Ruhe geben, die Schaufel weglegen und aufhören soll.

Dass die Bundeskanzlerin immer noch Angela Merkel heißt, dass sie sich seit zweieinhalb Jahren, verlässlich wie ein empörungsökonomisches Uhrwerk, stetig weiter nach rechts bewegt und inzwischen vermutlich sogar Selfies mit Wutbürgern machen würde, wird erst dann zaghaft zur Kenntnis genommen, wenn sie Geflüchtete in fiktionalisierte Außenzustände einsperren lassen will.

Merkel muss dem Affen keinen Zucker geben, genauso wenig wie die Bürgerkinder in den Zeit-, Stern-, Spiegel- oder taz-Redaktionen; sie könnte, ganz im Gegenteil, offensiv für eine Politik einstehen, die die Menschen im Mittelmeer rettet, statt sie zu kriminalisieren.

Feiger Juso-Chef

Solange sie sich aber von den eigenen Fraktionskollegen und einer gesellschaftlichen Paranoia treiben lässt, um immer wieder klein beizugeben, und so die verfügbare Debattenenergie auf die vermeintlich alternativlose Alternative zwischen „rechts“ und „sehr rechts“ lenkt, ist Merkel, ist die SPD, ist der feige Juso-Chef und sind alle, die auf ihr Spiel hereinfallen, kein Stück besser als die Nazis aus Bayern und sonst wo.

Apropos Nazis: Es ist ja jetzt nicht so, als ob es keine schlagkräftige Opposition gäbe, die mit frechen Interventionen eine Art dritten Weg bahnen würde und die humane, aber eben auch realistische Kanzlerin öffentlich bedrängen und befragen würde. Nur sitzt die halt (weiter) rechts. Klar, jetzt gibt es mal ein paar Seebrücken-Demonstrationen hier und kritische Grüne da (wobei es inzwischen schon eine Nachricht zu sein scheint, wenn bayrische Grüne eine Koalition mit der CSU ausschließen.

Wie selbstverständlich aber bekommt die AfD jeden Abend ihre Quotenminute, gefühlt sind es fünf, und darf ihren Senf abgeben zur Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, zu ihrem Parteitag, zu ihren Umfragewerten, zu sich selbst. Und dann wundert man sich noch.

Das finden vermutlich jene am besten, die sonst voller Schaum vor dem Mund gegen (natürlich „linke“) Identitätspolitik wettern und meinen, jetzt sei aber mal gut und man könne nicht jede Minderheit repräsentieren, wo käme man da hin, wer käme denn da noch. Aber die Nazis! Sie haben es ja nicht leicht, werden immer gleich verurteilt… und warum soll man sie dann nicht anhören, von ihnen lernen, warum soll man sie nicht diskursiv zur Strecke bringen, also mit dem Taxi in die „Tagesschau“, nichts leichter als das?

Ich warte auf den Tag, an dem es Transgender-Toiletten gibt, aber eben für Nazis.

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Adrian Schulz
Freier Autor
Seit 2015 bei der taz, zunächst als Praktikant, dann als freier Autor und Kolumnist (zurzeit: "Ungenießbar"). Nebenbei Masterstudium der Ästhetik in Frankfurt am Main. Schreibt über Alltag, Medien und Wirklichkeit.
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1 Kommentar

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  • Soweit alles klar, aber was sind „elektrische Linsengerichte“.