Kolumne Immer bereit: Witze machende Männer
Komik hat mit Macht zu tun. Deshalb sollte man lieber Witze über Arschlöcher machen als mit ihnen, findet taz-Kolumnistin Lea Streisand.
E s sei viel wichtiger, was er meine, als was er sage, findet Serdar Somuncu im ersten Teil seines neuen radioeins-Podcasts mit Florian Schroeder, denn die Worte, die er ausspreche, seien „scheißegal“. Und dann setzt er zu einer Hasstirade von rassistischen und sexistischen Beleidigungen an, die so platt sind, als wären sie in einer Eckkneipe erst unterm Herrenstammtisch breitgelatscht und nachher von der Putzfrau mit dem Wischmob wieder vorgekehrt worden. (Kausalität zwischen fehlenden Sexualkontakten bei Kolumnen schreibenden Frauen etc.). Meint der Kollege nicht so. Is’ Kunst. Schon klar.
Schon lustig, dass jemand, der in einem Sprechmedium mit Sprache arbeitet, verlangt, man solle nicht ernst nehmen, was er sagt. Klingt nach einem Friseur, der keine Haare schneiden möchte. Sollte er sich vielleicht ’n anderen Beruf suchen.
Aber reden wir über Komik. Stark vereinfacht unterscheidet man zwei Arten: Komik der Herabsetzung, das Auslachen von Schwächeren, Marginalisierten – fängt im Kindergarten an und hört bei Mario Barth nicht auf; ist leider vor allem im deutschen Sprachraum sehr verbreitet.
Ich nenne es das Goethe-und-Schiller-Problem, die nämlich mit ihrem Ideal der ästhetischen Erziehung (den Menschen durch Kunst zum Schönen, Guten, Wahren zu geleiten) den Künstler/Erzähler selbst zum Gott gemacht haben: Er weiß alles. Und so stehen die Kabarettisten bis heute auf den Bühnen des Landes und erklären uns die Welt.
Die andere grobe Richtung der Komiktheorie kann, in Abgrenzung von der ersten, Komik der Heraufsetzung genannt werden. Sie hebt Unterschiede auf (wie im Karneval) und stellt die Welt auf den Kopf (wie in der Komödie). Dazu gehören Witze über Ranghöhere und über sich selbst.
Vor allem die englischsprachige Tradition hat hier viel zu bieten, angefangen bei Buster Keaton über Mr Bean bis Amy Schumer, aber auch Loriot fällt in diese Kategorie. Diese Komik stellt Nähe her, während erstere Statusunterschiede zementiert. Denn Komik hat mit Macht zu tun. Wer lacht? Wer witzelt? Wann? Worüber?
Im Handbuch Komik (Stuttgart 2017) zeigt die Germanistin Helga Kotthoff anhand empirischer Studien, dass vor allem Frauen oft ihre eigene Schwäche bewitzelten, während Männer untereinander dazu neigten, Witze auf Kosten anderer zu machen. Stichwort „locker room talk“.
Die USA haben seit vier Jahren einen Präsidenten, der damit prahlt, Frauen ungestraft angreifen zu können, und der Demonstranten als Terroristen verunglimpft. Spätestens jetzt sollte man Witze über Arschlöcher machen und nicht mit ihnen.
Nun könnte man einwenden, dass die Jungs, die Comedians, die Künstler, die solchen Quatsch von sich geben, sich damit ja selbst klein und schwach und zu Arschlöchern machen. Es sind doch nur Witze. Die tun doch keinem weh.
Doch, sage ich, mich nervt es, dass solchen plumpen Beleidigungen dermaßen viel Raum eingeräumt wird! Mit welchem Erkenntnisgewinn? Was genau wird dadurch enttarnt und sichtbar gemacht? Denn das ist doch die Aufgabe von Komik: Missstände aufzudecken und Ungerechtigkeiten durch ihre Umkehrung zu beseitigen.
Die einzige Ungerechtigkeit, die ich hier aufgedeckt sehe, ist die Tatsache, dass Herr Somuncu für seinen Quatsch bei radioeins zwei Stunden Sendezeit die Woche bekommt und nun noch einen Podcast obendrauf, wo er ungefiltert und unbearbeitet so lange reden darf, wie er will. Ich hab drei Minuten! Mit Wiederholung sechs. Und jetzt widme ich ihm auch noch meine taz- Kolumne. Na toll!
Übrigens gibt’s meine radioeins-Kolumne ab nächster Woche auch als Podcast. Endlich. Nach sechs Jahren schon!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker