Kolumne Hosen runter: Contouring in der Gebärmutter
Eine Studie ergibt: Das Internet ist wichtiger als Kinderkriegen. So könnte es mit dem Nachwuchs doch noch klappen.
J unge Menschen in Deutschland könnten auf Autos, Kinder und Gott verzichten – aber nicht auf das Internet. Hab ich im Radio gehört, beim Geschirrspülen.
Vor Schreck hätte ich beinahe vergessen, noch schnell den Bodensatz aus dem Weinglas vom Vorabend zu exen. Kinder sind also unwichtiger als das Internet, hallo, merkt hier noch jemand was, Prioritäten und so?!!?! einself!!! … nee, halt, so kann es gar nicht gewesen sein, beim Spülen guck ich ja immer Netflix.
Jedenfalls schnell mal gegoogelt: Die Studie möchte die Lebenswelt von 18- bis 34-Jährigen erforschen und heißt „Generation What?“, und gerade als ich ein herzhaftes „the fuck!“ hinzufügen will, fällt mir ein: Ich bin 32 und habe keine Kinder, aber Internet.
Zielgruppe. Scheiße. Okay. Vielleicht liegt es daran, dass meine Generation gar nicht weiß, wie es ohne Internet ist – aber ohne Kinder schon. Man vermisst ja nur das, was man kennt. Oder es ist alles ganz anders. Die Generation Internet ist nämlich auch die Generation Selbstkontrolle.
Virtuelle Identität
Wir zählen unsere Schritte, Herzschläge und Kalorien, tracken unsere Aktivitäten und lassen uns daran erinnern, genügend Wasser zu trinken. Das Ergebnis posten wir bei Facebook, um unsere virtuelle Identität aufzuhübschen. Und das ist erst der Anfang!
Tim Cook verkündete diese Woche, die Apple Watch solle bald „immer mehr Funktionen des eigenen Körpers“ kontrollieren. Ein Start-up hat kürzlich einen Tampon entwickelt, der eine Push-Mitteilung ans Smartphone sendet, wenn er voll ist.
Und dann gibt’s da noch den Mikrochip, der nachts die Temperatur in der Vagina misst und die Daten in den Computer einspeist. Sogar eine Brandenburger Kiefer twittert seit vier Wochen ihre Vitalwerte – aber wo ist das Gadget für ungeborene Babys? Im Darknet oder was?
So kompliziert kann es doch nicht sein, einen Fötus-Tracker zu entwickeln: Ultraschallgerät, Mikrofon, zack, fertig, rein in die Muschi und raus mit den Herztönen, den Fotos (Filter: Nirvana-Cover), den Umdrehungen pro Stunde.
Fame
Noah als Tom Selleck (MSQRD), Ruth gähnend bei ihrem ersten Facebook-Livevideo, Cutie Kai im YouTube-Tutorial: „Contouring: Wie mache ich mich in der Gebärmutter unsichtbar?“
Eins sollte jedoch unbedingt berücksichtigt werden: Unter keinen Umständen darf ein eigener Twitter/Facebook/Instagram/Snapchat-Account für den Nachwuchs erstellt werden. Lol, doch nicht wegen Datenschutz. Wegen der Reichweite! Nur wenn Babys neue Follower liefern, wird Kinder kriegen wieder attraktiv.
Als ich gerade nachschauen will, wie ich das Patent anmelden kann, stolpere ich noch mal über die Studie. Und erfahre: Sie dauert drei Jahre, es handelt sich bisher also nur um einen schön plakativen Zwischenstand – und der ist denkbar knapp.
53 Prozent der NutzerInnen glauben, sie bräuchten das Internet für ihr Lebensglück. 52 Prozent denken, sie könnten auf Kinder verzichten. Liebe Crowd, streng dich noch mal an. Wir sammeln hier schließlich für einen guten Zweck: unseren Fame.
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