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Kolumne HerbstzeitlosSeitlich dran vorbei gehen

Fußball ist für unseren Autoren in erster Linie ein Geräusch, das erklingt, wenn er irgendwo vorbeigeht, wo andere öffentlich gucken.

Überall große, viereckige grüne Flecken, vor denen sich kleine Menschentrauben bilden Foto: imago/snapshot

Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens“, gleich ein ganzes Buch von Max Goldt trägt diesen Titel – und dieser Tage hat mich der schöne Satz recht häufig begleitet auf meinen Wegen. Weil doch Fußball-WM ist und das „Public Viewing“ seit dem „Sommermärchen“ zum öffentlichen Leben des Landes dazugehört. Auch wenn „Schland“ längst ausgeschieden ist.

Fußball war und ist für mich in erster Linie ein Geräusch. Ein Klangteppich aus Fan-Gesängen und Gegröle, durchbrochen von Gehupe und überblendet von aufgeregten Kommentatoren-Stimmen. Und nur manchmal ein Gesicht, wenn es gefällig ist wie das von Mats Hummels.

Oder einprägsam und unausweichlich wie das des „Bundestrainers“ Yogi Löw; jemand der nie zu lachen scheint aber manchmal lustige Dinge tut. In der Nase bohren oder sich am Gemächt kratzen und 50 Millionen schauen live zu, solche Dinge.

Die Geräusche gehen weiter, auch ohne Schland. Wenn ich durch die Straßen gehe, sehe ich überall große, viereckige grüne Flecken, vor denen sich kleine Menschentrauben bilden. Flatscreens, die vor Kneipen, Spät- und Backshops aufgebaut sind.

Menschengrüppchen

Die Screens wurden aufgehängt, angedübelt oder auf abenteuerliche Tisch- und Regalkonsturktionen gestellt, wirre Kabelagen dahinter, die in geöffneten Fenstern verschwinden oder scheinbar hinter Blumenkübeln enden.

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Menschen sitzen auf Plastikstühlen rund um den Bildschirm, in Shorts und Flip-Flops. Frauen halten Bierflaschen in der Hand, gerne Radler von Gösser, Männer auch. Geht man langsam an den Menschengrüppchen vorbei riecht es nach Zigarettenrauch, Alkohol, Sonnenlotion und Duschgel, so, als hätte man sich aus Versehen auf einem Campingplatz irgendwo am Meer verlaufen.

Belegte Brötchen mit schwitzender Salami werden gegessen, manchmal auch Bockwurst mit Senf. Kleinkinder wuseln um die Eltern herum auf dem Trottoir. Auch die Angestellten schauen zu.

Oben in der Mitte des grünen Flecks sieht man stets zwei kleine Flaggen und Zahlen – also welches Land gegen welches spielt und „wie es steht“. Gestern erst fragte mich ein Wildfremder wie es denn stehe, nachdem ich an einem großen Public Viewing-Gelände vorbeigegangen war, also einem solchen mit eigenen Bratwurststand und Bierausschank, und ich konnte nur mit den Achseln zucken.

Unterlassen des Drogenhandels

Ich wusste nur, dass einige der T-Shirts gelb-blau waren, so wie die Tragetaschen bei Ikea. Und dass die vor der grünen Fläche ausharrenden irgendwie tapfer auf mich wirkten. Wie jemand, der auch nach einem Bombenattentat noch Kirmes feiert, weil das Leben bedeutet.

Das schönste seitliche Vorbeigehen aber widerfuhr mir im nahe gelegenen Park, der Berliner Hasenheide. Es gibt dort einen Pavillon im Zentrum, mit Flaschenbier und Tiefkühlkuchen; und einer großen Public-Viewing-Leinwand. Und dort versammelt saßen an einem Nachmittag in der letzten Woche sämtliche Dealer, die sonst entlang der Wege ihren Geschäften nachgehen, um ein Spiel zu sehen, dass für sie offensichtlich von so großer Bedeutung war, dass sie das Verticken auch mal Verticken sein ließen.

Müssen die KonsumentInnen halt mal was anderes oder gar nichts einwerfen, ziehen oder rauchen. Eine Unterlassung des Drogenhandels, zu der es sonst nur bei den routinemäßigen, eher lustlos ausgeführten Razzien der Polizei kommt.

Der Zauber dieser WM ist für mich die scheinbar mit ihr einher gehende Trägheit. Das Leben, nichts als ein langer, großer Fluss. Viel länger als bloß zwei mal 45 Minuten.

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Martin Reichert
Redakteur taz.am Wochenende
* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien
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1 Kommentar

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  • ;))



    &



    Auf der Hasenheide



    Nichmal ne Keilerei



    &



    Martin gar nicht feige



    Streift locker dran vorbei.

    Keene Wurst hat er jebissen



    Keenen Dealer massakriert!



    &



    Dennoch hat Reicherts Martin



    Sich köstlich amüsiert!

    Yes. Me too. But.



    &



    Kürzeste Liebe

    Blöde Bauern, die den biedern



    Gruß der Bürger nicht erwidern,



    Menschen, die mit halbem Nicken



    Danken, ohne aufzublicken.



    Prüde, scheue Frauen, leise



    Kinder, würdevolle Greise — — —







    Aber wenn an Dorf und Feld und



    Wald vorbei dein Schnellzug braust,



    Du aus deinem Wagen schaust:







    Ja dann stehen — stehn auch diese



    Ganz dir zugewandt am Hange,



    Vor dem Stalltor, auf der Wiese —.



    Und sie winken. Winken lange.







    Grüßen voll und grüßen frei



    Dich und deine Fahrtgenossen.







    Und die reinste Liebe wird vergossen



    Im Vorbei.“

    Yes. Sei ohnedies gut!;) Denn -

    “Nie bist du ohne Nebendir

    Eine Wiese singt.



    Dein Ohr klingt.



    Eine Telefonstange rauscht.



    Ob du im Bettchen liegst



    Oder über Frankfurt fliegst,



    Du bist überall gesehen und belauscht.



    Gonokokken kieken,



    Kleine Morcheln horcheln.



    Poren sind nur Ohren.



    Alle Bläschen blicken.



    Was du verschweigst,



    Was du den andern nicht zeigst,



    Was dein Mund spricht



    Und deine Hand tut,



    Es kommt alles ans Licht.



    Sei ohnedies gut.

    unterm—-



    www.textlog.de/22929.html



    www.textlog.de/22923.html



    gutenberg.spiegel....h/gedichte-9807/19



    &



    Soweit mal.