Kolumne Herbstzeitlos: Das brandenburgische Konzert
Unser Autor rät: Wenn Du der Kultur wegen nach Rheinsberg eilst, dann niemals ohne anspruchsvolle Plastiktüte.
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B randenburg. In bestimmten gesellschaftlichen Kreisen muss man ja nur den Namen dieses schönen Bundeslands aussprechen, und schon geht das Gekicher los. Aber wenigstens lachen die Leute nun dank Rainald Grebe anstatt nur, wie noch in den Neunzigern üblich, ängstlich mit den Zähnen zu klappern wegen der vielen Nazis, die angeblich hinter jedem Alleenbaum lauern.
Es gab Zeiten, in denen Brandenburg meine zweite Wahlheimat war, der Liebe wegen – und neulich war ich mal wieder da, nach dem Rechten schauen: In Rheinsberg, beim Opernkonzert. Rheinsberg! Das klingt. Friedrichs schönste Jahre, Hans Hermann von Katte, Kunst. Tucholsky ohnehin.
Erinnerungen wurden wach an diesem schwülwarmem Sommerabend mit all den aufgeputzten Brandenburgern und Brandenburgerinnen und ihren Plastiküten. Plastiktüten? Auf dem kiesbelegten Vorplatz des Schlosses promenierte die in Bussen herbeigekarrte Brandenburger Gesellschaft und auch vereinzelte „Buletten“, wie Berliner im Umland gern genannt werden. Ob ältere Damen in Gewändern oder Herren in Leinenhosen, allenthalben trug man zum ausgesuchten Outfit Plastiktüte.
Besonders häufig gesehen wurde eine Modell der Firma Edeka, aber auch Blume 2000 und (extra zu zahlende und keineswegs kostenlos gereichte) Karstadt-Modelle wurden gesichtet.
Quakende Enten
Nur eine Dame, deren Gesamtausstaffierung an die ehemalige slowenische Ministerpräsidentin Alenka Bratušek gemahnte, trug – dem feierlichen Anlass angemessen – eine Tüte des Schokoladenherstellers Lindt in der rechten Hand, die mit goldenem Aufdruck auf blauem Grund ganz hübsch mit der Chanel-Handtasche zur Rechten korrespondierte. Sollte sich die ostdeutsche Sitte, Markenplastiktüten aus dem Westen zu sammeln und gegebenenfalls aufzubügeln ausgerechnet beim Opernfestival in Rheinsberg konserviert haben – womöglich als ein Art kultureller Trotzbehauptung?
Peinlich berührt erinnerte ich mich jener Szenen die sich in den neunziger Jahren in meiner ersten Ostberliner Mietskaserne in Prenzlauer Berg zugetragen hatten und in denen ich mich zum Gespött der ganzen Nachbarschaft gemacht hatte: Ich, der Wessi, hatte meine Kohlen aus dem Keller mit Benetton-Tüten in den vierten Stock geschleppt.
Die Irritation legte sich schließlich während des Konzerts im wunderbaren Innenhof des Schlosses. Junge Stimmen aus der ganzen Welt konkurrierten mit den hohen Tonlagen der Schwalben, die unter den Dachfirsten ihre Nester gebaut hatten. Auf dem hinter dem brandenburgischen Staatsorchester gut sichtbaren Grienericksee quakten die Enten, während vorn Mozart mit des Tenors Inbrunst vorgetragen wurde.
Und wirklich nur ganz selten raschelte die ein oder andere Tüte in den Reihen des ansonsten höchstens diskret hüstelnden, kultivierten Publikums, das hier zum „Event“ sich versammelt hatte.
Erst im Hinausgehen fand ich heraus, was es mit den Tüten auf sich hatte. Beziehungsweise, was sie in sich trugen: Sitzkissen.
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